Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

 

SWR2 / SWR Kultur

 

SWR4

   

Autor*in

 

Archiv

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Haben Sie schon mal Brot gegessen, bei dem der Bäcker das Salz vergessen hatte? Mir ist das einmal passiert. Ich kann Ihnen sagen – das vergesse ich nie! Ein Geschmack wie eingeschlafene Füße!
Aber das Gegenteil habe ich auch schon erlebt: Ein Essen, das so versalzen war, dass ich den Geschmack noch nach drei Tagen im Mund hatte!
Salz darf also auf keinen Fall fehlen. Aber es kommt auf die richtige Menge an.
Das hat Jesus genauso gesehen. Ihr seid das Salz der Erde, sagt er seinen Jüngern. Ich übersetze das mal: Ohne euch ist die Welt ungenießbar! Eben wie Brot ohne Salz.
Sind wir Salz der Erde, Sie und ich?
Menschen, die sich heute auf Jesus berufen, versuchen in der Regel, friedlich zu leben. Sie wollen niemandem wehtun. Sie suchen den Ausgleich. Das ist ja eigentlich auch ganz richtig. Denn wenn immer nur gestritten wird, dann ist das wie ein versalzenes Essen.
Aber ich finde: Wenn wir jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gehen, dann wird das Leben ungenießbar. Dann bleibt alles, wie es ist. Auch das, was eigentlich nicht so bleiben kann. Man muss sich ja nicht gleich anschreien oder mit Steinen werfen. Und Attentate und Terroranschläge im Namen Jesu – die braucht wirklich keiner! Gott sei Dank gibt es andere Wege, um seine Meinung zu äußern.
Viele hoffen ja, dass sich Streitfragen von selbst erledigen! Man redet nicht drüber, man will ja nicht streiten – aber deswegen bin ich doch anderer Meinung als der da und finde eigentlich völlig hirnrissig, was er sagt! Und dann kommt es irgendwann hintenherum raus.
Ihr seid das Salz der Erde, sagt Jesus. Wenn das Salz nichts mehr taugt, dann muss man es wegschütten. Ich verstehe das so: Mischt euch ein! Haltet nicht mit eurer Meinung hinterm Berg! Scheut eine notwendige Auseinandersetzung nicht!
Wie gesagt: Es kann auch zu viel sein. Jesus wollte bestimmt nicht, dass wir Querulanten und Nervensägen werden. Oder schlimmer noch: dass wir solange hetzen und aufstacheln, bis es Krieg gibt. Anscheinend hat er aber auch nicht gewollt, dass Christen alle Konflikte unter den Teppich kehren und immer so tun, als ob alles in Ordnung ist.
Aber warum sollte ich mich als Christ überhaupt irgendwo einmischen? Weiß ich etwa alles besser? Bin ich so wichtig, dass ich zu allem meinen Senf dazugeben muss?
Jesus zeigt mir: Wie das Salz bin ich vielleicht nicht entscheidend, aber unverzichtbar. Salz allein macht noch kein Brot und keine Suppe. Aber ohne Salz schmeckt das alles nicht.
Ich habe manchmal Angst, meine Meinung zu heftig zu sagen. Angst, dass es dann Streit gibt. Zu viel Salz sozusagen. Da macht Jesus mir Mut, mich einzumischen, ohne mich ständig in den Vordergrund zu spielen.

Ein Beispiel: die Flüchtlingspolitik. Darüber reden ja im Moment eigentlich alle. Die Politiker, die Medien, die Nachbarn. Muss ich denn dann als Christ auch noch was dazu sagen?
Ja, ich meine schon. Nicht, dass Sie jetzt denken, ich hätte die Lösung für das große Problem. Ich weiß keineswegs alles besser! Und ich bin auch kein besserer Mensch als zum Beispiel die Sachbearbeiter in den Ämtern.
Aber ich versuche, die Menschen so zu sehen, wie Jesus sie vielleicht sehen würde. Ich muss keine Paragraphen umsetzen. Aber dann kann ich mich auch nicht hinter ihnen verschanzen. Ich habe keine Patentlösung. Ich sehe Menschen in Not. Manches verstehe ich nicht. Vieles bleibt mir fremd. Aber ich höre und sehe, was den Fremden vor mir bedrückt. Und es reicht schon, dass ich da bin, dass ich einfach Mensch bin und auch in dem Fremden einfach einen Menschen sehe. Jemanden, an dessen Sorgen ich Anteil nehmen kann. Mit dem ich aber auch lachen und feiern kann. So, meine ich, hat Jesus die Menschen angesehen. Als Menschen eben. Als Schwestern und Brüder. Ich glaube, das ist die Prise Salz, die manchmal fehlt.
Denn wenn ich die Flüchtlinge unter uns als Menschen sehe, sogar als Schwestern und Brüder: Dann werde ich etwas sagen, wenn Leute so tun, als wüssten sie es besser. Wenn sie mit keinem Flüchtling persönlich gesprochen haben, aber genau wissen, dass „die“ alle nur in unsere Sozialsysteme einwandern wollen. Wenn Politiker die Flüchtlinge einteilen in solche, die Schutz brauchen, und solche, die es angeblich nicht brauchen. Wenn Leute nicht mehr hingucken und dann natürlich den einzelnen Menschen und sein Schicksal auch nicht mehr wahrnehmen.
Manchmal wird es dann richtig unbarmherzig. So wie neulich, als die Polizei mitten in der Nacht einen jungen Somalier aus seinem Bett geholt hat. Ein halbes Kind noch. Er sollte abgeschoben werden. Irgendwie ging die Sache schief und er ist wieder da. Aber wir haben in unserer Kirchengemeinde beschlossen, dass wir ihn in unseren Räumen aufnehmen wollen, bis die Gefahr für ihn vorüber ist. Bevor er wieder irgendwohin geschickt wird, wo keiner auf ihn wartet.
Wir versuchen jetzt, Salz der Erde zu sein. In einer Welt, die für viele Menschen längst ungenießbar geworden ist. Barmherzig zu sein, menschlich zu sein. Aber eben notfalls auch unbequem.
Salz der Erde: damit das Leben allen schmeckt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20175
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

I)  Hätte Jesus nicht am Leben bleiben können? Das frage ich mich immer wieder, wenn ich die Geschichten in der Bibel lese. Dort wird erzählt, wie Jesus auf einem jungen Esel nach Jerusalem hineingeritten ist. Und wie die Leute ihm mit Palmzweigen entgegengezogen sind und ihm zugejubelt haben. Von den Palmzweigen hat dann auch der heutige Sonntag seinen Namen bekommen: Palmsonntag. Ein Jubelsonntag also?

Nein, leider nicht nur Jubel. In der Bibel steht, da haben noch ein paar andere am Rand gestanden und sich das Ganze mit ziemlich verdrießlicher Miene angeschaut. Aber sie haben sich nicht getraut, etwas zu sagen. Noch nicht. Es hat keinen Sinn, haben sie gemeint. Schaut doch, wie ihm alle nachlaufen!

Jesus hat da wirklich ziemlich viel durcheinandergebracht. In seinem Land hat sich gerade die römische Besatzung häuslich eingerichtet. Die hat zwar keiner wirklich gerufen. Aber wo die Römer jetzt mal da waren, musste man sich ja irgendwie mit denen arrangieren. Einigen im Land ist das wirklich gut gelungen!

Und da kommt jetzt einer dahergeritten, dem jubeln sie alle zu und schreien: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!

Da werden natürlich alle nervös, die gerne selber im Land herrschen wollen. Und auch alle, die mit diesen Mächtigen gut fahren. Die nicht wollen, dass jemand ihre Geschäfte stört.

Meine Güte, das hätte Jesus doch klar sein müssen! Man legt sich nicht ungestraft mit denen an, die das Sagen haben! Das gibt bloß Ärger. Und am Ende hing Jesus am Kreuz. War der kleine Triumphzug das wert? Was wollte Jesus bloß? Denn das, was die Leute alle gerufen haben: König von Israel – das wollte er ja gar nicht sein! Das steht sehr deutlich in der Bibel. Aber warum um Gottes Willen ist er dann nach Jerusalem gegangen?

Für die Leute, die das später aufgeschrieben haben, war die Sache klar: genau deshalb – um Gottes Willen. Gott hat das alles so gewollt. Auch das Kreuz.

Aber wollte Gott wirklich, dass Jesus stirbt? Und was wollte Jesus eigentlich selbst?

Die Menschen jedenfalls, die Jesus jetzt sehen, die fragen nicht lang. Die jubeln. Vielleicht war es ja genau das, was Jesus wollte: dass sie sich einmal gut fühlen. Dass sie einen Grund zum Jubeln haben. Wenigstens einen Tag lang. Denn beim römischen Gouverneur Pontius Pilatus, da gab es sonst nicht viel Grund zum Jubeln. Die Menschen haben sich verraten und verkauft gefühlt. Und allein gelassen.

Ob Jesus einfach gedacht hat: Da muss ich jetzt hin?

II )Ich glaube, Jesus hat den Leuten ihre Freude und die Palmzweige gegönnt.
Aber natürlich ging es ihm nicht einfach nur um eine gute Show, damit man den üblen Alltag einfach mal einen Moment vergessen kann. Und Jesus hat gewusst, wie gefährlich es ist. Das reinste Selbstmordkommando! Und es ist nicht so, dass er nicht gewarnt worden wäre! Petrus, sein bester Freund, hatte ihn eindringlich gewarnt. Doch Jesus hat ihn heftig zurückgewiesen: Du willst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist!

Ich verstehe das nicht. Ist es Gottes Wille, dass jemand in eine sichere Gefahr geht? In der er bestimmt einfach nur umkommt, ohne dass damit jemandem geholfen wird? Und wenn jemand Angst hat und sich retten will – ist das nur menschlich und am Ende sogar gegen Gottes Willen? Das kann doch nicht sein!

Aber dann fallen mir auch Menschen ein, die es ähnlich gemacht haben wie Jesus. Der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer zum Beispiel – der ist noch 1939 aus dem sicheren Amerika nach Deutschland zurückgefahren. Er hat sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt, kam ins Gefängnis und wurde kurz vor Kriegsende noch rasch gehenkt. Vielleicht kennen Sie sein berühmtes Gedicht: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Oder ich denke an die jungen russischen Frauen von der Punk-Band Pussy Riot. Vielleicht erinnern Sie sich: Vor ein paar Jahren haben die in einer Kathedrale in Moskau gegen die russische Kirche protestiert, die Präsident Putin für seine ganze Unterdrückungspolitik ihren Segen gibt. Dafür kamen sie lange in Gefängnisse und Arbeitslager. Heute sind sie immer noch in Russland. Und setzen sich für die Menschen ein, die noch in diesen Lagern stecken.

So für andere da zu sein, das ist doch erst richtig menschlich. Und ich glaube, das ist das, was Gott eigentlich von uns will. Lasst die anderen nicht im Stich! Seid für sie da! Zeigt ihnen, dass sie nicht vergessen sind, dass andere Menschen an sie denken und für sie beten!

Ich bin froh, dass Jesus nach Jerusalem gegangen ist. Ich möchte manchmal am liebsten vor allem weglaufen. Ich denke dann: Ich schaffe es nicht. Ich kann einfach nicht mehr. Dann denke ich daran, wie Jesus standgehalten hat. Das hilft mir. Ich merke: Ich bin nicht allein. Und dann fallen mir auch schwere Wege leichter.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19476
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Ein gutes Vorbild taugt mehr als zig gute Vorsätze. Die guten Vorsätze, die haben sich bei mir nämlich nicht so wirklich bewährt. Meistens haben sie nicht lange gehalten.
Darum will ich das neue Jahr lieber mit guten Vorbildern beginnen. Ein Vorbild, an das ich seit vielen Jahren an jedem 4. Januar denke, ist der dänische Pfarrer Kaj Munk. Am 4. Januar 1944 wurde er von einem deutschen Kommando ermordet. Damals hatten die Deutschen Dänemark besetzt. Es war Krieg. Und Kaj Munk rief seine Landsleute zum Widerstand gegen die Besatzer auf. Auch mit Gewalt, wenn es sein musste. Wenn es anders nicht möglich war, Unschuldige zu schützen.
In Kopenhagen hatten Studenten einer Widerstandsgruppe darüber diskutiert, ob man in Kauf nehmen darf, dass andere sterben. Oder ob man sogar selber töten darf. Eine Studentin aus der Gruppe wollte wissen, was Kaj Munk dazu sagt. Die Stimme des dänischen Widerstands. Seine Predigten, Artikel und Theaterstücke wurden inzwischen illegal gedruckt und im Untergrund verbreitet.
Kaj Munk hat der Studentin nur eine kurze Antwort geschrieben. Christus hat befohlen, Witwen und Waisen zu helfen, schreibt er. Da muss man manchmal auch die Räuber erschießen, die sie überfallen wollen. Es ist kein Christentum, anderen den Kampf und die Qual zu überlassen und selber sitzen zu bleiben, hat er geschrieben. Er konnte sich sogar vorstellen, in Jesu Namen zu töten.
Starke Worte für einen Pfarrer, finde ich! Die Studentin hat sich dann auch bewusst anders entschieden. Für sie hat das Gebot „Du sollst nicht töten“ keinen Kompromiss erlaubt. Ihr Bruder dagegen hat Attentate auf Züge und Fabriken ausgeübt. Er hat gehofft, dass der Krieg dadurch früher zu Ende geht. Dafür kam er in ein Konzentrationslager und hat nur knapp überlebt. Nach dem Krieg hat er sein Medizinstudium beendet und ist in Dänemark ein bedeutender Arzt geworden. Er hat weitergekämpft – diesmal gegen den Krebs.
Ich bin froh, dass ich nicht in derselben Situation lebe wie damals in Dänemark Pfarrer Munk und die beiden Studentengeschwister. Ich weiß nicht, wie ich mich entschieden hätte. Hätte ich wie die Studentin gesagt: Das Gebot „Du sollst nicht töten“ kennt keinen Kompromiss?
Aber kein Kompromiss: Das war auch die Leitlinie für Kaj Munk. Er hat keinen Kompromiss mit dem Unrecht und dem Unheil schließen wollen. Er wollte Jesus folgen, ohne Kompromiss – und wenn es bis zum Tod am Kreuz ist. Seine Freunde haben ihn immer wieder gewarnt. Sie haben immer wieder gesagt: Flieh! Rette dich! Wir brauchen dich noch!
Doch er hat geantwortet: Ich werde hier gebraucht. Ich will leben. Aber wenn sie mich töten, dann kann ich es nicht ändern. Darin ist Jesus sein großes Vorbild gewesen.

Ist Kaj Munk ein gutes Vorbild?
Wenn man ihn das selber gefragt hätte, dann hätte er sich wahrscheinlich den Kopf geschüttelt. Trotzdem ist er für viele ein Vorbild geworden. Weil er so konsequent und kompromisslos für das eingestanden ist, was ihm wichtig und heilig war.
Aber auch ein Vorbild macht Fehler. Und vielleicht kann man daraus sogar noch mehr lernen! Denn weil Kaj Munk so kompromisslos war, hat er Leute bewundert, die stark und kompromisslos auftreten. Erst Mussolini. Und dann sogar Hitler. Bis er gemerkt hat, wie Hitler gegen die Juden vorging. Da kannte Kaj Munk nämlich auch keinen Kompromiss: Jesus selbst war doch ein Jude! Das hat Kaj Munk immer wieder gesagt. Und seine Landsleute darauf eingeschworen, sich nicht zum Komplizen der deutschen Judenpolitik zu machen.
Fast alle dänischen Juden wurden von ihren eigenen Landsleuten vor der Ermordung gerettet. Das lag auch an der Wirkung von Munks Worten.
Für Kaj Munk selbst war Jesus das große Vorbild. Wie Jesus wollte er nicht zurückweichen, auch wenn der Weg zum Kreuz führt. Jesus war für ihn nicht bloß ein harmloser, netter Mensch, der keinem weh tut. Jemand, der uns in unserem Alltag nicht stört.
Munk hat sogar gefragt: Was erwartet Jesus jetzt von Dänemark?
Das wäre nicht meine Frage. Aber gut: Was könnte Jesus von uns Menschen in Deutschland erwarten? Das sind immerhin sehr viele verschiedene Menschen. Darunter auch viele, die selber gar nicht in Deutschland geboren sind. Oder deren Eltern oder Großeltern aus einem anderen Land stammen. Für viele ist wahrscheinlich nicht Jesus das Vorbild, sondern eher der Prophet Mohammed oder ein großer Fußballspieler oder eine berühmte Sängerin – oder die eigenen Eltern.
Aber in einem kann Jesus vielleicht doch für uns alle ein Vorbild sein – im Versuch, die Wahrheit zu leben. Mich jedenfalls erinnert Kaj Munk immer wieder daran. Danach zu suchen, was mein Auftrag hier in dieser Welt sein könnte. Und diesem Auftrag nachzugehen. Ruhig, gefasst, voller Zuversicht und voller Freude am Leben. Voller Dankbarkeit gegenüber diesem Geschenk Leben! Das ist ein Geschenk, das ich teilen kann und nicht für mich allein behalten will. Ich glaube, das darf Jesus von mir erwarten!
Ich denke, so könnte es ein gutes neues Jahr werden. Ich wünsche Ihnen und mir Segen dazu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18837
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Welche Waffen helfen gegen religiösen Fanatismus? Wenn islamistische Terrorkrieger Menschen abschlachten – sollte man da nicht möglichst viele Bomben werfen?
Frankreich zum Beispiel hat sich dafür entschieden. Und nimmt alle Konsequenzen in Kauf. So gibt es jetzt Terrorwarnungen etwa für die Pariser Metro.
Ich fahre gerne nach Paris – gerade vor kurzem war ich mit Kollegen ein paar Tage dort. Und ich liebe es, mit der Metro zu fahren – bei mir auf dem Hunsrück gibt es keine! Ein bisschen mulmig war mir ja diesmal. Aber natürlich sind wir trotzdem mit der Metro gefahren. Jeden Tag. Den anderen Fahrgästen habe ich nichts Besonderes angesehen. Es wirkte alles so wie immer.
Doch dann stehen auf einem Bahnsteig plötzlich drei Soldaten mit Maschinenpistolen. Und einer meiner Kollegen meint: „Also eigentlich mag ich ja keine Maschinenpistolen. Aber jetzt beruhigen sie mich doch irgendwie.“ Ich stelle fest, dass es mir genauso geht.
Obwohl es natürlich kein wirklicher Schutz ist. Wenn jetzt Islamisten wirklich einen Terroranschlag in der Metro verüben würden, dann helfen drei Soldaten mit Maschinenpistolen auch nichts mehr. Aber welche Waffen helfen überhaupt gegen solche wahnsinnigen Fanatiker? Die Bomben in Syrien und im Irak haben bisher auch nicht viel bewirkt.
Die Frage lässt mich nicht los. Ich habe keine Waffen, ich kann auch nicht mit ihnen umgehen. Und ich mag Waffen auch nicht besonders – da geht es mir nicht anders als meinem Kollegen!
Darum habe ich bisher auch manche Sätze in der Bibel links liegen gelassen, die mir zu kriegerisch erschienen. Jetzt entdecke ich sie neu und lese zum Beispiel von der „Waffenrüstung Gottes“: Wir sollen uns mit Wahrheit umgürten und den Panzer der Gerechtigkeit antun. So können wir das Böse überwinden. (Eph 5,13f)
Doch was ist das, Wahrheit und Gerechtigkeit? Und wie kann man mit Wahrheit und Gerechtigkeit den Fanatismus überwinden?
Es gibt vieles, was Menschen für wahr halten. Also muss ich nach etwas suchen, was für alle Menschen wahr ist. Eine Wahrheit, für die Unschuldige geköpft oder gesteinigt werden, ist keine Wahrheit für alle Menschen. Wahr ist, was Menschen zu leben hilft. Was ihre Herzen ohne Angst, Wut und Hass schlagen lässt. Und gerecht ist, was allen Menschen die gleichen Chancen gibt, sich zu entfalten und an Bildung, Arbeit, Kultur und Gesundheit teilzuhaben. In Europa hat es sehr lange gedauert, bis solche Wahrheit und Gerechtigkeit mehrheitsfähig wurden. Denn dafür müssen einige von ihren Privilegien etwas abgeben. Und wenn es nur das Privileg ist, recht zu haben. Oder das Privileg, allen anderen vorschreiben zu können, was für sie wahr sein soll und wie sie leben sollen.
Fanatiker in allen Religionen berufen sich dafür auf Gott. Aber für Gott sind alle Menschen gleich viel wert.

Welche Waffen helfen gegen religiösen Fanatismus? Darüber habe ich eben in den SWR 4 „Sonntagsgedanken“ mit Ihnen nachgedacht. In der Bibel heißt es einmal, wir sollen uns mit Wahrheit umgürten und den Panzer der Gerechtigkeit antun.
Wenn Wahrheit wie ein Gürtel ist, dann hilft sie mir, dass ich nicht nackt und ausgeliefert bin. Wahrheit ist, was mir Würde gibt. Und diese Würde kann nur allen Menschen gelten: Europäern und Afrikanern, Männern und Frauen, Armen und Reichen, Gesunden und Kranken. All diesen Menschen gebührt Gerechtigkeit.
Die Bibel nennt Wahrheit und Gerechtigkeit unsere Waffen. Die scheinen viel schwächer als Maschinenpistolen und Bomben. Aber ich glaube, Fanatiker haben vor Wahrheit und Gerechtigkeit mehr Angst als vor allen Bomben. Denn dann wäre es ja mit ihrer Herrschaft vorbei. Darum haben Islamisten in Nigeria Mädchen aus einer Schule entführt. Sind Schülerinnen denn schwer bewaffneten Männern gefährlich? Ja, denn sie werden etwas lernen und gleiche Chancen bekommen. Sie werden menschenverachtende Ideologien in Frage stellen und sich Männern nicht mehr unterordnen, nur weil es Männer sind. Sie suchen nach der Wahrheit, die ihnen ihre Würde zugesteht, und nach der Gerechtigkeit, die ihre Ansprüche schützt.
In Pakistan hat sich ein anderes Mädchen erfolgreich gegen alle Versuche gewehrt, sie am Besuch ihrer Schule zu hindern. Dafür hat sie gerade den Friedensnobelpreis bekommen. Malala Yousafzai heißt sie. Die Taliban haben sie bei einem Attentat schwer verletzt. Doch Malala hat sich nicht beirren lassen und die ganze Welt dazu gebracht, ihr zuzuhören.
Und in Afghanistan, nicht weit von Malalas Heimat, ist eine sehr junge Frau aufgewachsen, die jetzt in meiner Stadt lebt. Sie ist erst neunzehn Jahre alt, doch hat schon einen vierjährigen Sohn. Mit dreizehn wurde sie verheiratet. Ihr Mann ist inzwischen gestorben. Da sollte sein Bruder sie bekommen. Sie ist ausgerissen, hat ihr Kind mitgenommen und ist bis nach Deutschland gekommen. Denn in Afghanistan hatte sie deutsche Soldaten gesehen. Auch Frauen waren darunter. Und sie hatte gehört, in Deutschland dürften Frauen auch zur Schule gehen.
Jetzt ist sie hier und will lernen. Sie hat Schleier und Kopftuch abgelegt und wehrt sich gegen ihren Freund, der sie aus Eifersucht eingesperrt und geschlagen hat. Bis sie endlich Asyl, Schutz und Sicherheit gefunden hat, wird es noch ein weiter Weg sein. Da ist es leider mit Wahrheit und Gerechtigkeit bei uns nicht immer weit her. Doch immerhin hat sie erlebt, dass unsere Polizei ihr hilft.
Vor Hass und Angst, Lüge und Gewalt ist sie zu uns geflohen. Für sie und für uns müssen wir nach Wahrheit und Gerechtigkeit suchen. Das sind die Waffen, die Gott uns in die Hand gibt. Damit sollen wir uns stark machen für eine bessere Welt. Für alle Menschen, überall.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18523
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Heute ist Wahl. In der Ukraine zum Beispiel. Eine Wahl, von der dort alles abhängt. Ist die Demokratie stärker als das Chaos? Wie reagiert Putin auf das Ergebnis der Wahl? Welche Macht wird der neue Präsident überhaupt haben? Ist diese Wahl eigentlich bloß ein Witz?
Heute ist aber auch Wahl bei uns. Alle Bürger und Bürgerinnen über 18 dürfen heute ihre Stadt- oder Gemeinderäte, ihre Kreistage und das Europaparlament wählen. Ein Mädchen, das gerade 18 geworden ist, darf wählen. Ihre Mutter auch. Die Stimme eines Arbeiters zählt so viel wie die eines Fabrikbesitzers. Und Franzosen, Deutsche, Belgier und Engländer sitzen im selben Parlamentssaal. Vor 100 Jahren hätte man das für einen guten Witz gehalten. Da durften hier bei uns nur Männer wählen. Und die Franzosen galten als Erbfeinde.
Heute dürfen alle wählen und 28 Nationen sitzen nebeneinander im Europäischen Parlament. Vor 100 Jahren konnte man von so etwas höchstens träumen!
Die Wahl heute zeigt: Es gibt Träume, die sind wahr geworden. Vielleicht gibt das Hoffnung für die Ukraine. Einen Staat, der gerade auseinanderbricht.
Denn wenn ein Staat erst einmal zerbricht, dann wird es richtig schlimm. Ich habe Menschen aus Somalia und Syrien kennengelernt, die mir davon erzählen. Was geht es uns dagegen heute gut! Hier in Deutschland. Wie sehnen sich Menschen in Syrien oder der Ukraine nach solchen Verhältnissen wie bei uns!
Natürlich haben auch wir nicht das Paradies. Auch wenn das von Somalia aus wahrscheinlich so aussieht. Ein junger Mann aus Somalia erzählt mir: In seiner Heimat, da hat er immer Gott gefragt, warum es alles so furchtbar ist in diesem Land. Warum Jungen an Gewehren ausgebildet werden statt an Werkzeugen. Warum Frauen zwangsverheiratet werden können, wenn sie keinen Mann mehr haben. Und jetzt – sagt er – jetzt dankt er Gott, dass er in Deutschland angekommen ist.
Ich verstehe sehr gut, was er meint. Auch wenn ich mir kaum vorstellen kann, was er durchgemacht hat. Er erzählt, er hat sich darauf verlassen, dass Gott bei ihm ist. Auch in den Alpträumen, die er wirklich erlebt hat. Bei seiner abenteuerlichen Flucht in einem Schlauchboot übers Mittelmeer. Als er glücklich in Malta ankam. Doch dort hat man ihn und die anderen Flüchtlingen ins Gefängnis gesteckt. Und dann lebte er Monate lang auf der Straße.
Jetzt ist er in Deutschland. Und würde gerne hier bleiben und irgendwann seine Familie nachholen. Er arbeitet bei der "Tafel" mit und hilft einem anderen Flüchtling aus Somalia, der im Rollstuhl sitzt.
Wir beten beide, dass er hierbleiben kann. Doch jetzt soll er abgeschoben werden. Zurück nach Malta, wo man sich nicht weiter um ihn gekümmert hat. Seit vier Jahren ist er auf der Flucht und möchte endlich ankommen. Aber er hat keine Wahl. Andere entscheiden für ihn.

 Es ist ein großes Glück, wenn man eine Wahl hat. Daran habe ich Sie und mich hier in den SWR4 Sonntagsgedanken gerade erinnert. Dass wir heute in Deutschland wählen dürfen, das hat unser Leben viel besser gemacht. Davon konnten Menschen früher bloß träumen!
Da denke ich an den Traum, den ein Prophet in der Bibel aufgeschrieben hat: den Traum von einem neuen Himmel und einer neuen Erde.
Niemand wird mehr weinen und klagen, heißt es da. Die Menschen werden sich Häuser bauen und auch darin wohnen können. Sie werden Weinberge pflanzen und selbst den Ertrag genießen. Die Frauen gebären ihre Kinder nicht länger für eine Zukunft voller Schrecken. Und Gott sagt: Noch ehe sie zu mir um Hilfe rufen, habe ich ihnen schon geholfen.
Was für ein wunderbarer Traum! Ich sehe unsere schönen Häuser und die reichen Weinberge an der Mosel, am Rhein oder am Neckar. Ich sehe unsere Kinder, die in Frieden aufwachsen können. So sollte es sein – überall: in Deutschland, in Somalia, in Frankreich und in der Ukraine. Davon träumen Menschen überall.
Mein Bekannter aus Somalia erzählt mir aber von seinem Heimatdorf. Dort hat er mit einem Freund zusammen als Lehrer gearbeitet. Eines Tages kamen islamistische Krieger und verlangten, die Lehrer sollten den Kindern kein Englisch beibringen, sondern Arabisch. Und rechnen sollten sie nur mit arabischen Zahlen.
Die beiden Lehrer haben sich geweigert. Die Krieger haben dem Freund meines Bekannten in den Kopf geschossen und ihm selbst durchs Kinn. Sie haben ihn für tot gehalten, doch er hat schwer verletzt überlebt. Er konnte nach Hause kriechen. Als er nach Monaten wieder gesund war, riet sein Vater ihm, das Land zu verlassen. Das war vor vier Jahren. Seitdem ist er auf der Flucht.
Seit einem Jahr ist er in Europa. In meinem Heimatkontinent, den ich liebe. Und hier ist heute Wahl. Ich werde hingehen und die Leute wählen, die versuchen können, den Traum des Propheten umzusetzen: in Städten und Gemeinden und in Europa.
Aber ich fürchte, ein Wunsch wird offen bleiben, egal wie die Wahl ausgeht: dass Menschen, die sich zu uns flüchten, bei uns Sicherheit und Geborgenheit finden. Dass sie nicht zwischen den europäischen Ländern hin und hergeschoben werden, ohne dass ihnen jemand mal richtig zuhört.
Ich glaube: Hier hilft nur noch beten. Beten kann ganz vieles sein. Ich bringe vor Gott, was mich beschäftigt. Ich höre einem anderen Menschen zu, der mir seine Not erzählt, und versuche, mich in ihn hineinzufühlen. Ich kann das allein nicht tragen. Ich trage es vor Gott. Das gibt mir Kraft, auch etwas zu tun. Ich kann nicht die Welt retten. Aber mit meiner kleinen Kraft will ich alles tun, damit diese Welt etwas lebenswerter wird. Darum werde ich heute beten und wählen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17629
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Tulpensonntag, Rosenmontag, Veilchendienstag – so nennt man im Rheinland die wichtigsten Karnevalstage. Das sind doch mal schöne Namen! Vor allem jetzt Anfang März, wo in unseren Gärten von Tulpen und Rosen noch lange nichts zu sehen ist. Und ich denke mir: Wenn sich jetzt die Menschen verkleiden – warum dann nicht auch die Tage?
Verkleiden: Das hat mir als Kind immer großen Spaß gemacht, nicht nur am Karneval. Aber wenn ich dann mein Old Shatterhand-Kostüm anzog und mein Spielzeuggewehr in die Hand nahm, dann war ich nicht mehr Christian, sondern der große Wildwest-Held höchstpersönlich! Man musste sich schon vor mir in Acht nehmen!
Jetzt bin ich erwachsen. Als was sollte ich mich jetzt verkleiden? Ich weiß, wer ich bin, mit allen guten und schlechten Seiten. Ja, manchmal möchte ich mich gerne verstecken. Da reicht vielleicht nicht einmal ein Kostüm. Da müsste es schon eine Tarnkappe sein. Damit niemand sieht, wie es mir geht. Wie mir gerade der Boden unter den Füßen wegrutscht. Aber ich bin kein Kind mehr. Ich weiß heute: Die Probleme bleiben da. Auch wenn die anderen sie nicht mehr sehen. Auch wenn ich selber nicht hingucken will.
Aber heute, an diesem Tulpensonntag, da habe ich eine bessere Idee, als mich zu verkleiden! Denn dieser Sonntag hat für mich noch einen anderen Namen. Die Tulpen – die sind eine hübsche Verkleidung. Aber die blühen jetzt ja noch nicht. Bei uns Evangelischen heißt dieser Sonntag Estomihi. Das ist Latein – obwohl wir es sonst nicht so damit haben. Esto mihi – das heißt auf Deutsch: Sei mir. Diese Worte kommen aus einem Psalm, einem Gebet aus der Bibel. Da heißt es: "Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest."
Gott ist ein starker Fels für mich. Und eine Burg. Das passt eigentlich gar nicht zu diesen Tagen, wo es die Menschen aus ihren Häuserburgen raus auf die Straßen zieht.
Aber trotzdem – vielleicht kennen Sie dieses Gefühl auch: Dass man den Boden unter den Füßen verliert. Dass man sich fühlt, als ob man auf Treibsand steht. Oder auf sumpfigem Gelände. Offenbar ist es dem Menschen auch so gegangen, der vor ein paar tausend Jahren diesen Psalm gebetet und aufgeschrieben hat. Zieh mich aus dem Netz! bittet er Gott. Die anderen wollen mir ans Leben! Ich kann nicht mehr. Sei mir ein starker Fels, sei meine Burg und hilf mir!
Wenn bei mir selber nichts mehr geht – dann brauche ich so eine Stütze von außen. Und wenn es keinen Menschen mehr gibt, auf den ich mich stützen kann, dann rufe ich zu Gott. Von Gott wünsche ich mir Kraft, wenn ich eigentlich schon gar nicht mehr kann. Wenn ich diese Kraft fühle, dann brauche ich mich nicht mehr zu verkleiden. Nicht als Old Shatterhand – und nicht als Narr, der lacht, obwohl er weinen muss.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum
Viele feiern Karneval, damit sie für ein paar Tage an all das andere nicht denken müssen. Mal Fünfe gerade sein lassen! Aschermittwoch wird's noch früh genug – und dann hat der graue Alltag uns wieder! Aber eigentlich löst das das Problem nicht.
"Sei mir ein starker Fels!", bittet der Psalmbeter Gott. Ich denke an Menschen, die sich genau das wünschen: einen starken festen Boden unter ihren Füßen. Der Beter erzählt von Feinden, die ihn verfolgen. Das ist wie im Fernsehkrimi. Da fragt der Kommissar ja auch immer die Angehörigen eines Ermordeten: "Hatte Ihr Mann Feinde?"
Wahrscheinlich kann man gar nicht durchs Leben gehen, ohne sich Feinde zu machen. Hab ich es immer in der Hand, ob sich jemand über mich ärgert? Oder neidisch oder eifersüchtig auf mich ist? Da hab ich vielleicht Feinde, von denen ich selber gar nichts weiß!
Ja, und manchmal denke ich: Mein schlimmster Feind, das bin ich selbst! Nicht nur, dass ich mich zuweilen ohrfeigen könnte für etwas, das ich gesagt oder getan habe. Wie oft stehe ich mir selbst im Weg! Dann könnte ich aus der Haut fahren! Aber: eben das geht nicht. Ich werde kein anderer als ich bin. Ich muss mich selber schon annehmen, so wie ich bin. Mit all dem, was nicht so toll ist.
Und das gilt schließlich auch für eine letzte Sorte Feinde: Das sind Feinde im übertragenen Sinn. Zum Beispiel eine schwere Krankheit, die einer in sich trägt. Oder Sorgen und Ängste, die immer wieder kommen – sogar, wenn sie vielleicht unbegründet sind.
Das sind dann wirklich Situationen, wo einem der Boden unter den Füßen wegrutscht! Dann einen festen Felsen unter den Füßen haben, wo ich stehen kann, was mir auch zusetzt! Wo ich selbst mit einer schweren Krankheit stehen kann. "Du übergibst mich nicht in die Hände des Feindes", heißt es etwas später in diesem Psalm, diesem Gebet aus der Bibel. "Du stellst meine Füße auf weiten Raum."
Das stelle ich mir jetzt richtig vor: Die Füße fest auf dem Boden, ein bisschen auseinander, ohne Angst stehen. Der Raum ist weit und der Boden fest. Ich darf da so stehen, wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen und verkleiden. Alle dürfen sehen, dass ich da stehe und wie ich bin! Ich brauche nicht mehr zu kämpfen. Aber ich muss mich auch nicht einfach besiegen lassen. Selbst wenn meine Feinde stärker sind: Ich habe etwas in mir, das der stärkste Feind nicht zerstören kann! Das ist die Zuversicht, dass Gott es gut mit mir meint, was immer passieren wird.
Bloß, leider habe ich diese Zuversicht auch nicht immer! Manchmal sind die Zweifel stärker und dann haben meine Feinde leichtes Spiel mit mir. Dann muss ich mich an die Zuversicht erinnern lassen. Zum Beispiel heute, an diesem Sonntag Estomihi: "Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17062
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Freuen Sie sich auch auf Weihnachten? Jetzt ist es bald so weit. Eigentlich. Bei manchen habe ich ja das Gefühl, sie feiern schon seit Wochen Weihnachten. Na ja, der Sommer war ja auch gerade vorbei, da lagen schon wieder die ersten Weihnachtssachen in den Läden. Und ich weiß gar nicht, wie viele Weihnachtslieder ich schon gehört habe!
Also, ich brauche noch etwas Zeit. Ich hebe mir "Stille Nacht" für Heiligabend auf. Ich brauche Zeit, damit Weihnachten langsam bei mir ankommen kann. Damit ich mich wirklich von Herzen freuen kann.
Ein älterer Herr hat mir neulich ein Kärtchen geschenkt, das seitdem bei mir auf dem Schreibtisch steht. Darauf steht ein Satz, der mir hilft, Advent zu feiern und mich auf Weihnachten einzustimmen.
Der Satz geht so: "Freuet euch in dem Herrn allewege und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe."
Diese Worte stehen in der Bibel. Der Apostel Paulus hat sie geschrieben. An seine Lieblingsgemeinde: in Philippi. Das war eine Stadt in Nordgriechenland. Dort hat er die erste christliche Gemeinde in Europa gegründet. Man steht in herzlichem Kontakt miteinander und Paulus möchte seine Freunde in Philippi gerne wieder besuchen. Das geht aber gerade nicht, weil er im Gefängnis sitzt. Wo genau, das wissen wir heute nicht mehr. Wahrscheinlich in Rom. Von dort wird er bis zu seinem Tod nicht mehr wegkommen.
Paulus sitzt im Gefängnis und denkt an seine Freunde. Wenn er da jetzt Angst hätte oder wenn er vielleicht wütend oder verzweifelt wäre – das könnte ich gut verstehen. Aber Freude?!
Eine irre Geschichte! Darüber muss ich immer wieder nachdenken, jetzt im Advent. Der Satz von Paulus lässt mir keine Ruhe mehr. Ein Gefängnis, das ist ja nun weiß Gott kein Ort für fröhliche Luftsprünge. Schon gar nicht, wenn man da unschuldig sitzt, wie Paulus. Aber was er da seinen Freunden schreibt, das klingt doch wirklich wie ein Luftsprung: "…und abermals sage ich: Freuet euch!"
Paulus weiß aber, warum er sich so freut: "Der Herr ist nahe." Wie schlimm es auch kommt, ich bin nicht allein. Was auch passieren mag, ich vertraue auf Gott. Und deswegen habe ich allen Grund zur Freude, auch im Gefängnis!
Paulus weiß nicht, was auf ihn zukommt. Er muss das Schlimmste befürchten. Doch weil Gott für ihn so nah ist, verliert das Schlimmste seinen Schrecken.
Dagegen geht es mir ja wirklich gut! Doch diese Freude und dieses Gottvertrauen kann ich von Paulus lernen! Dieses Gefühl: Gott ist bei mir, dann werde ich schon schaffen, was auf mich zukommt.
So möchte ich mich auch freuen können. Und ich möchte dieses Gefühl mit anderen teilen. Möchte mit dafür sorgen, dass unsere Welt ein Ort ist, wo der Himmel zu Besuch kommen kann. Dann wird Weihnachten!

Das wäre richtiges Weihnachten für mich: Wenn es nur noch Grund zur Freude gäbe! Wenn alles aus dem Weg geräumt wäre, was Menschen daran hindert, sich von ganzem Herzen zu freuen!
Aber, noch ist es nicht so weit. Und ich kenne nicht wenige, die winken jetzt ab: Das wird auch nie so kommen! Das wäre ja der Himmel auf Erden!
Richtig. Das wäre Weihnachten. Der Himmel kommt auf die Erde. Und jetzt ist Advent. Das ist die Zeit, wo wir uns darauf vorbereiten dürfen, dass es einmal gut wird. Wo wir schon mal üben können, uns zu freuen! Und diese Freude mit anderen zu teilen, damit der Himmel wirklich zu uns kommt. Damit endlich Weihnachten wird.
Zum Beispiel für die vielen Flüchtlinge, von denen wir immer wieder in den Nachrichten hören. Die machen sich auf den Weg – viele übers Meer - weil sie die katastrophalen Lebensverhältnisse in ihrer Heimat satt sind. Die wollen endlich zeigen, was in ihnen steckt. Wollen eine Chance zum Leben haben. Heute gibt es solche Chancen zum Beispiel bei uns in Deutschland. Früher gab es sie in anderen Ländern. Und Millionen sind aus Deutschland dorthin geflüchtet.
Paulus hat übrigens seinerzeit etwas ganz Ähnliches erlebt wie die afrikanischen Flüchtlinge heute. Er war als Gefangener auf dem Weg über das Mittelmeer nach Rom. Und da geriet sein Schiff in Seenot und ging unter. Wie manche der Flüchtlingsschiffe heute. Doch von dem Schiff, auf dem Paulus fährt, können sich alle an Land retten. Sie kommen in Malta an. Und dort haben die Leute keine Angst vor den Schiffbrüchigen. Sie heißen die Fremden vielmehr herzlich willkommen und helfen ihnen.
Ein herzliches Willkommen. Genauso haben es in diesem Jahr ein paar syrische Flüchtlinge erfahren – in einer Kirchengemeinde hier bei mir in der Nähe. Junge Männer, die eines Tages in der Kirche standen und gefragt haben, ob sie irgendwo mit anpacken können. Einer von ihnen hatte so Schlimmes hinter sich und solche Angst, dass er schließlich ins Krankenhaus eingewiesen werden musste. Da bekommt man eines Abends in der Gemeinde einen Tipp, dass der junge Mann am nächsten Morgen abgeholt und in ein Abschiebegefängnis gebracht werden soll. Noch am gleichen Abend holen die Pfarrerin und eine Ärztin den Syrer aus dem Krankenhaus und lassen ihn in der Kirche wohnen, bis die Behörden einlenken. Nun darf er bleiben und darauf warten, dass sein Asylantrag entschieden wird.
Ich finde: So wird Weihnachten! So kommt der Himmel auf die Erde! So können Menschen spüren, dass Gott ihnen nah ist.
Ich will versuchen, das nicht zu vergessen. Dafür will ich mir Zeit nehmen – in all dem vorweihnachtlichen Rummel dieser Tage. Und ich will die Augen aufhalten und mich kümmern, wo einer die Nähe Gottes nicht spüren kann. Unsere Welt hat Freude so nötig!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16608
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Im Urlaub war ich in Paris. In der Métro ruft eine freundliche Stimme vom Band die Stationen aus. Saint Placide. Saint Sulpice. Saint Germain des-Prés. Die Métro-Stationen heißen nach Heiligen, von denen ich noch nie was gehört habe. Dann kommt Saint Michel. Der heilige Michael – den kenne ich! Den Fürsten der Engel, der den Drachen besiegt. Die alte Kirche in Kirchberg im Hunsrück, wo ich lebe, ist nach ihm benannt. Jahrhunderte lang haben sich katholische und evangelische Christen diese Michaelskirche geteilt. Und der Michaelismarkt Anfang Oktober ist hier einer der wichtigsten Tage im Jahr! Aber wer war der heilige Placide?
Ein paar Stationen weiter in der Pariser Métro kommt noch Saint Denis dazu. Ich kenne mehrere Menschen, die Dennis heißen. Jugendliche. Schüler oder Konfirmanden. Besonders heilig hat sich keiner von denen benommen. Aber kann ich ihnen das verdenken? Sind Heilige nicht immer Menschen, die schon eine Weile tot sind?
Als Evangelischer kenne ich mich da nicht so gut aus. Immerhin: den heiligen Nikolaus kenne ich natürlich. Und Sankt Martin! Im Rheinland, wo ich aufgewachsen bin, sind wir Kinder am Martinstag immer mit unseren Laternen von Haus zu Haus gezogen. Wir haben Martinslieder gesungen und dafür Süßigkeiten geschenkt bekommen. "Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind. Sein Ross, das trug ihn fort geschwind." Ich kann heute noch alle Strophen!
Heilige sind also erst einmal ganz normale Menschen, die dann aber was Besonderes tun. So wie der heilige Martin, ein ganz normaler Soldat im 4. Jahrhundert, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt. So gesehen, könnte jeder von uns zum Heiligen werden!
Zum Beispiel in der Pariser Métro. Da hab ich das erlebt: In den Wagen, in dem die Menschen sowieso schon dicht gedrängt stehen und sitzen, ist ein älterer Herr eingestiegen. Er ist nicht mehr gut zu Fuß. Eine dunkelhäutige Frau in schönen bunten afrikanischen Stoffen bemerkt ihn. "Monsieur!" Sie bietet ihm ihren Platz an. Da steht stattdessen gegenüber eine junge Frau auf und lässt ihn Platz nehmen. Ihr fällt das vielleicht leichter, sie steigt dann sowieso an der übernächsten Station aus. Die andere Frau dagegen hat offenbar noch eine längere Fahrt vor sich. Außerdem sieht sie etwas müde und abgearbeitet aus. Und war trotzdem so hellwach, dass sie den alten Herrn sofort bemerkt hat.
Sind das nicht auch Heilige? Ganz normale Fahrgäste, die in der vollgestopften Métro nicht den Überblick verlieren. Die sofort bemerken, wenn jemand Hilfe braucht. Und sich ohne Worte rasch verständigen. Normale Menschen, die etwas Besonderes tun. Ich finde: das sind Heilige!

Sind wir alle Heilige – oder können es zumindest werden? Ich glaube schon. In der Bibel sieht das der Apostel Paulus offenbar ganz ähnlich! Er nennt die Menschen, denen er seine Briefe schreibt, einfach alle "Heilige". "An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom" – so steht es zum Beispiel am Anfang seines berühmten Römerbriefes.
So hat mich noch nie jemand angeredet! Wenn ich einen Brief bekomme, dann steht da "Sehr geehrter Herr Hartung" oder auch "Lieber Christian". In den E-Mails ist es etwas formloser: "Hallo", "Guten Morgen" oder auch einfach nur "Hi!" Doch wenn ich so einen Brief bekommen würde: "Lieber Heiliger Christian!" – da würde ich aufmerken! Aber: Habe ich denn etwas Besonderes getan? Ich fürchte, für eine Heiligsprechung würde das bei mir nie reichen!
Da fällt mir auf: Paulus stellt die Frage anders herum. Nicht: Was hast du Besonderes getan? Sondern er stellt fest: Da hat jemand etwas Besonderes für dich getan. Nämlich Jesus.
Jesus wollte kein besonderer Heiliger sein. Er hat sich als Kind Gottes gesehen. Und alle, die genauso dachten wie er, waren für ihn einfach seine Brüder und Schwestern.
Ich bin also ein Kind Gottes. Ich bin etwas Besonderes für Gott: also bin ich heilig. Und die anderen Menschen in meiner Gemeinde oder in anderen Gemeinden auch. Auch wenn sie Dennis oder Kevin heißen und sich gerade ziemlich unheilig benehmen! Kevin – das war übrigens auch ein Heiliger. In Irland habe ich als Schüler die Ruinen des Klosters gesehen, in dem er vor vielen Jahrhunderten gewirkt hat.
Gilt das jetzt nur für Christen – egal ob evangelisch, katholisch oder freikirchlich? Was ist zum Beispiel mit den Juden?
Ich lese in der jüdischen Bibel, dem Alten Testament der Kirche: "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott!" Mit diesem Satz begründet Gott viele Dinge, die man tun oder lassen soll. Zum Beispiel: Bei der Ernte etwas für die Armen und Fremden übrig lassen. Nicht stehlen, lügen und betrügen. Einem Blinden kein Hindernis in den Weg legen. Und der Spitzensatz: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR."
Wer also all das und noch einiges mehr tut, der ist heilig. Jeder Jude, jede Jüdin soll sich darum bemühen. Warum nicht auch die Christen?
Gott ist heilig. Wenn Menschen sich auf ihn verlassen, dann sind sie auch heilig. Und wenn sie einander gut sind und auch anderen gut tun, dann werden die anderen Menschen merken, dass sie zu Gott gehören. Und über manche, die besonders überzeugend sind, vielleicht sagen: Das ist echt ein Heiliger – oder eine Heilige.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16312
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

"Die meisten Kriege sind doch nur wegen der Religion!", höre ich oft. Und stimmt es denn nicht auch? Die Kreuzzüge. Der Dreißigjährige Krieg - zwischen Evangelischen und Katholiken! Und heute die islamistischen Terrorakte und der Krieg des Westens dagegen.
Da kann ich gut verstehen, wenn Menschen misstrauisch werden gegen alle Religionen. Und im Moment meinen viele, am aggressivsten sei wohl der Islam.
Doch gibt es überhaupt muslimische Terrorakte? Oder doch nur die verbrecherischen Aktionen von Menschen, die Muslime sind? Genauso, wie es furchtbare Angriffe durch Menschen gibt, die Christen sind. Letzten Dienstag hat man in Japan wieder an den Atombombenabwurf auf Hiroshima gedacht. Waren die, die den befohlen und ausgeführt haben, nicht christliche Amerikaner? Oder der Norweger Anders Breivik, der vor zwei Jahren über 70 Jugendliche massakrierte. Der ist Christ - und seine Opfer mussten deshalb sterben, weil ihnen alle Menschen gleich viel wert waren.
Es gibt immer welche, die die Welt gerne in Gut und Böse einteilen. In "Wir" und "Die anderen". Solche Menschen haben immer ein bisschen recht. Aber immer auch nur ein bisschen. Dass es auch ganz anders geht, das zeigt mir ein Mann, der heute vor über 500 Jahren gestorben ist - am 11. August 1464. Geboren wurde er in einer kleinen Stadt an der Mosel, in Kues. Darum nennt man ihn einfach Nikolaus von Kues.
Nikolaus war einer der großen Gelehrten seiner Zeit. Auf einer seiner vielen Reisen ist er auch einmal in Konstantinopel gewesen, dem heutigen Istanbul. Er bewunderte die schöne, reiche Stadt. Einige Jahre später erreichte ihn die Nachricht, dass ein türkisches Heer die Stadt erobert und geplündert hat. Diese Nachricht hat ihn genauso tief getroffen wie alle anderen. Damals hat man einen Rachekreuzzug geplant, um die Stadt zurückzuerobern. Ja, warum auch nicht? Diebe straft man doch auch!
Aber Nikolaus setzt sich hin und schreibt ein ganz eigenartiges Büchlein. "Über den Glaubensfrieden" nennt er es. Die Religionen sind für ihn nicht der Grund, warum Menschen Kriege führen. Sondern in den Religionen sieht Nikolaus die Möglichkeit, die Kriege zu überwinden. Nicht Krieg schlägt er vor, sondern Gespräche. Um einander kennen und verstehen zu lernen.
Er erzählt in seinem Buch von einer Vision. Himmlischer Thronrat. Gott berichtet ganz erschüttert, wie die Menschen einander bekriegen und mit Gewalt zu ihrem jeweiligen Glauben bekehren. Da sagt der höchste Engel: "Die haben einfach zu viel um die Ohren! Ständig die vielen kleinen und großen Sorgen. Da halten sie sich an die Religion, die gerade bei ihnen praktiziert wird - und halten allen anderen Glauben für Lüge."
"Nun gut", sagt Gott. "Aber was sollen wir jetzt tun?"

Wie können die Menschen dazu gebracht werden, einander nicht mehr wegen ihres Glaubens zu bekriegen?
In seinem Buch lässt Nikolaus von Kues die Engel und Apostel im himmlischen Thronrat beraten. Da macht Gott selbst den Vorschlag, man sollte doch aus allen Völkern weise Männer zusammenholen, die ihre Religionen vergleichen. Nüchtern und vernünftig. Solche Männer wie Nikolaus von Kues.
Schon ein bisschen eitel - aber ich verzeihe es ihm gern! Und dass er dabei nur an Männer gedacht hat - na ja, 500 Jahre später sind wir da hoffentlich weiter! Heute hätte er sicher auch von Frauen gute Gedanken und Einsichten erwartet. Aber die Idee an sich finde ich für unsere Zeit noch genauso faszinierend: Weise, kluge, erfahrene  Menschen aus allen Völkern und Religionen kommen an einem ruhigen, sicheren Ort zusammen und vergleichen ihre unterschiedlichen Gewohnheiten und Ansichten. Ohne Rechthaberei und Besserwisserei. Nur mit dem Wunsch, Wahrheit zu finden. Und Frieden.
Die wahre Religion, die die Weisen bei Nikolaus von Kues dann finden, erinnert ein bisschen an das Christentum. Nikolaus war natürlich felsenfest von seinem eigenen Glauben überzeugt. Gerade darum ist es so bemerkenswert, wie er sich mit dem Glauben anderer beschäftigt hat. Er hat versucht zu verstehen. Hat versucht, Bekanntes im Fremden wiederzuerkennen, das Gemeinsame im Unterschiedlichen wahrzunehmen. Dabei hat sich auch sein eigener Glaube verändert. Wichtiges wird von weniger Wichtigem getrennt. Ist das nicht Weisheit?
Ich kann mir vorstellen, dass er mit dieser Weisheit zu seiner Zeit ganz schön angeeckt ist. Immerhin hat er anerkannt, dass auch die anderen eine Religion haben. Einen Glauben genau wie er. Dass auch sie sich um das Gute bemühen und Frieden halten wollen. Und er hat gewusst: Was einer glaubt, das ist nicht einfach seine eigene Entscheidung. Was einer glaubt, das kommt von Gott. Deshalb muss ich respektieren, wenn die anderen anders glauben als ich. In Nikolaus' Buch erkennen die Weisen schließlich, dass sie hinter allen Unterschieden eigentlich die gleiche Religion haben.
Natürlich stehen wir heute nicht mehr an der gleichen Stelle wie er vor 500 Jahren. Aber ich finde, unsere Fragen sind immer noch die gleichen wie seine damals: Müssen verschiedene Religionen einander hassen und verdrängen? Und wie kann man entscheiden, welche Religion die Wahrheit hat? Etwa durch einen Krieg?
Viele Menschen denken heute noch so. Christen ebenso wie Muslime. Da bringt Nikolaus von Kues auch nach 500 Jahren noch einiges heilsam durcheinander! Ich wünsche mir etwas von seiner Weisheit. Und ich weiß, dass auch woanders Menschen nach solcher Weisheit suchen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15827
weiterlesen...

SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Er hat uns schon oft zum Schmunzeln gebracht, der Sohn einer guten Bekannten. Er ist noch keine achtzehn - doch eine ganz wichtige Entscheidung für sein Leben hat er schon vor vielen Jahren getroffen. Dafür reicht ein Wort: grün. Diese Farbe kommt bei ihm immer wieder vor. In seiner Kleidung, in allen Dingen, die er gern hat. Nichts in der Welt könnte ihn davon abbringen!
Hab ich auch so eine Farbe, die immer dabei sein muss? Ich weiß es gar nicht. Viele Jahre hätte ich gedacht, es ist blau. Blaue Sachen habe ich immer am liebsten getragen. Doch das hat sich dann allmählich geändert. Andere Farben kamen dazu. Ich habe mich ja auch sonst verändert in meinem Leben. Bestimmte Grundzüge sind geblieben. Anderes ist neu dazugekommen. Heute gibt es mehrere Farben, die ich sehr mag. Und bestimmte, die ich überhaupt nicht leiden kann. Übrigens noch nie leiden konnte.
Die richtige Farbe für mein Leben entdecken, die Farben, die zu mir passen. Das kann ein echtes Abenteuer sein! Denn da geht es ja immer um mehr als nur um die Farben. Da geht es auch um Eigenschaften, die ich habe oder besonders auspräge. Um Fähigkeiten, Begabungen. Vorlieben und Abneigungen. All die verschiedenen Seiten meiner Person, die mich zu dem machen, was ich bin. Vieles hab ich gar nicht selbst in der Hand.
Der Apostel Paulus hat einmal einen schönen Satz gesagt: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
Das klingt jetzt so sicher. Als hätte Paulus das immer schon gewusst! Dabei war er zunächst eigentlich gar nicht zufrieden mit sich. In seinen Briefen in der Bibel schreibt er davon, wie er sich geirrt und verrannt hat. Wie er unbedingt seinen Kopf durchsetzen wollte. Aber dann hat er doch noch den richtigen Weg gefunden. Paulus schreibt: Gott hat ihn mir gezeigt. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
Gnade, das heißt: Das muss ich mir schenken lassen. Das kann ich nicht aus mir heraus machen. Vielleicht ist es eine lange Suche. Vielleicht muss ich einiges ausprobieren, bis ich's raus hab. Dabei ist gar nicht so wichtig, wie mich die anderen sehen, sondern: Wie fühle ich mich selbst? Wann stimmt es für mich?
Mit solchen Lebens-Farben ist es genauso wie mit den wirklichen Farben: Es gibt nicht nur die eine. Auf die richtige Mischung kommt es an. Manche Menschen finden sich gut in einer Farbe wieder - wie der Sohn meiner Bekannten in der Farbe Grün. Das ist auch sonst ein ganz optimistischer, hoffnungsvoller, zufriedener junger Mensch. All das eben, was man so mit der Farbe Grün verbindet. Andere brauchen viele Jahre und manche Umwege, bis sie wissen, was ihre Farbe ist. Ihre Lebensfarbe. Oder die mehreren Farben. Die Palette, mit der Gott diesen ganz bestimmten Menschen gemalt hat!

Die richtige Farbe für sein Leben finden - das kann richtig anstrengend sein. Und wer gerade mitten in der Suche ist, der kann manchmal auch anstrengend für andere sein. Jugendliche zum Beispiel. Aber wenn mich so ein Vierzehnjähriger nervt, dann denke ich mir: Hab Geduld! Der sucht gerade nach seiner richtigen Farbe. Das ist eine Lebensaufgabe! Jetzt weiß er nur, was alles nicht zu ihm passt. Bestimmt nicht die Lebensfarben der Eltern!
Ich weiß noch gut, wie verzweifelt ich selber in dem Alter gesucht habe. Mir haben damals Menschen geholfen, die mich ernst genommen haben. Von denen ich eine liebevolle, freundliche, aber doch deutliche Rückmeldung bekommen habe: Das kannst du, das sehe ich bei dir, darin bist du gut, das solltest du verstärken. Aber auch durchaus: Weißt du, nimm's mir nicht übel, aber das passt doch gar nicht zu dir!
Um so etwas sagen zu können, muss ich aber bei dem anderen genau hinschauen. Mir Zeit nehmen. Geduldig sein. Dranbleiben.
Ich denke an den berühmten Komponisten Georg Friedrich Händel. Heute ist sein Todestag. Sein Vater wollte, dass der Junge Jurist wird. Er verstand einfach nicht, dass sein Sohn von Kopf bis Fuß voller Musik war! Georg Friedrich hat heimlich auf einem Spinett gespielt - das ist ein ganz leises Instrument, ähnlich wie ein Klavier, nur viel kleiner. Heimlich nachts auf dem Dachboden, damit der Vater nichts hört!
Nun, bei Georg Friedrich Händel waren die musikalischen Lebensfarben so stark ausgeprägt, dass sie irgendwann nicht mehr zu übersehen waren. Wer weiß, wie viele Händels heute unter uns heranwachsen! Die müssen auch erst mal ihre Lebensfarben finden! Das Grün oder das Blau - aber auch mal ein schrilles Lila oder ein punkiges Orange!
Klar kann das manchmal nerven. Aber wir Älteren sollten uns vielleicht vornehmen, etwas gnädiger damit zu sein. Ich denke noch mal an den schönen Satz von Paulus: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Paulus sagt nicht etwa: Ich hab mir hart erarbeitet, dass ich bin, was ich bin. Und erst recht nicht: Ich hab es verdient, dass ich bin, was ich bin!
Paulus sagt: durch Gottes Gnade. Ich hab's geschenkt bekommen. Gott hat geduldig gewartet und mir eine Chance gegeben.
Jetzt stelle ich mir Gott wie einen großen Maler vor, der für jeden Menschen ganz bestimmte Farben mischt. Hier einen jungen Menschen, der zu jeder Gelegenheit irgendetwas Grünes anhat. Da einen, der wunderschöne Musik macht. Dort einen, der sein Leben lang neugierig und auf der Suche bleibt. Milliarden ganz unterschiedliche Lebensbilder. Ich bin gespannt, welche Farben ich noch an mir entdecke!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15118
weiterlesen...