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SWR2 Lied zum Sonntag

„Da ist guter Rat teuer“ – so sagt man mir in einer völlig verfahrenen Situation. Nun bräuchte ich einen guten Rat, wie es weitergehen kann. Doch den bekomme ich nicht oder könnte ihn mir nicht leisten. Der Streit, der eine gute Freundschaft beschädigt oder zum Zerwürfnis mit einem Mitarbeiter geführt hat. Oder gar ein Rechtsstreit, den jemand gegen mich angestrengt hat. Ich habe das Gefühl, alle sind gegen mich. Es hat sich alles verschworen. Kompromisse, überhaupt Gespräche, scheinen nicht mehr möglich. Da ist guter Rat teuer, weil so dringlich!

Ich schlage das Gesangbuch auf. Hier ist guter Rat oft umsonst. In den alten Liedern kann ich immer wieder lesen, dass Jesus längst für mich bezahlt habe. Diese Lieder verströmen die unerschütterliche Zuversicht der gläubigen Dichter vergangener Jahrhunderte: Was auch geschieht, mir kann nichts wirklich mehr passieren. Christus ist für mich in die Bresche gesprungen.

Da werden Streit und Anfeindung Gott vor die Füße gelegt, unter Jesu Kreuz. Und auf einmal kann der vorher Ratlose sich aufrichten und anfangen zu singen. Wie im Lied: Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich:

Musik

Im Jahr 1653 hat Paul Gerhardt dieses Lied gedichtet. Es wurde erst viel später mit dieser alten englischen Melodie verbunden. Die Chansonsängerin Vera Hahn lässt es so klingen, als wäre es gerade erst entstanden. Wie sich ein Mensch vor Hunderten Jahren Trost und Stärkung herbeigesungen hat – das kann mir auch heute helfen! „Kein Urteil mich erschrecket, kein Unheil mich betrübt, weil mich mit Flügeln decket mein Heiland, der mich liebt.“

Musik

„Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?“ Diese Frage des Apostels Paulus aus dem Römerbrief hat Paul Gerhardt zu seinem Mutmach-Lied angeregt. „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Christus Jesus ist hier, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt.“

Wenn ich mich an Gott halte, dann kann ich glauben, dass ich auch in Schwierigkeiten nicht alleine bin. „Die Welt, die mag zerbrechen, du stehst mir ewiglich; kein Brennen, Hauen, Stechen soll trennen mich und dich …“

Paul Gerhardt beschreibt plastisch, was die Welt an Unheil bereithalten kann. Doch vor diesem düsteren Hintergrund schildert er umso leuchtender, worauf er im Glauben hofft: „Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein, ist voller Freud und Singen, sieht lauter Sonnenschein. Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ; das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.“

Das möchte auch ich mir zu Herzen nehmen!  Ich schaue auf Jesus, den Paul Gerhardts Lied mir als Sonne malt. Bei diesem Jesus, so höre ich, ist guter Rat nicht teuer. Und so gebe ich die Hoffnung nicht auf. Die Hoffnung, dass die Sonne Jesus auch mir Wege leuchten wird, die ich jetzt im Dunkeln nicht sehen kann.

Mit dem alten Glaubenslied singe ich mir Mut und Vertrauen zu.

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Musikangaben:
Musiktitel 1-3: Gerhardt, Paul; Anonym; Ist Gott für mich, so trete
Interpretin: Vera Hahn
CD: Reiß die Himmel auf! Alte Kirchenlieder als Chansons

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

„Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder, und der Herbst beginnt.“ Ab heute passt dieses schöne alte Lied wieder. Nun beginnt der Herbst offiziell. Nach einem schier endlosen Sommer. Braun waren die Wälder ja schon Ende August, weil es so trocken war. Und nicht nur die Stoppelfelder waren gelb, sondern ganze Flächen neben den Straßen. Vor fünfzehn Jahren hat man so etwas noch einen „Jahrhundertsommer“ genannt und sich über das schöne Wetter gefreut. Diesmal ist es doch vielen unheimlich geworden.

Statt von „Jahrhundertsommer“ ist von „Dürre“ die Rede. Bei diesem Wort denke ich an Nachrichten aus Afrika.
Oder an die Bibel. Auch in biblischen Zeiten gab es Dürreperioden. Und damals hielten die Menschen so eine Trockenheit für eine Strafe des Himmels. Zur Zeit des Königs Ahab zum Beispiel. Ahabs Regierungsstil wird in der Bibel knapp so zusammengefasst: „Er erzürnte den HERRN, den Gott Israels, mehr als alle Könige Israels vor ihm.“

Da schickt Gott den Propheten Elia zum König mit einer Warnung. Es wird Folgen haben, was ihr tut: „So wahr der HERR, der Gott Israels, lebt, in dessen Dienst ich stehe: in diesen Jahren sollen weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort hin.“

Ein Machtkampf zwischen König und Prophet beginnt und zieht sich über Jahre. Mich erinnert das schon ein wenig an die Situation heute: Trotz internationaler Abkommen schaffen es die Regierungen der Welt seit Jahren nicht, die Zerstörung unserer Umwelt und unseres Klimas in den Griff zu bekommen. Und auf der anderen Seite gibt es Propheten, die immer lauter warnen: Wir haben bloß die eine Erde! Und wir haben nicht mehr viel Zeit, umzusteuern, ehe es unwiderruflich zu spät ist!

Ich selbst stehe in diesem Streit irgendwo dazwischen. Ich höre die Propheten. Und ich gebe ihnen recht. Ich mache mir Sorgen. Und denke dann wieder: Was kann ich denn tun? Müsste es da nicht erst einmal andere Gesetze und Vorschriften geben? Aber fängt es nicht doch bei mir und meinem Lebensstil an? Ich habe kein besonders großes Auto. Aber ich fahre viel. Anders käme ich in meiner ländlichen Region gar nicht vom Fleck. Was soll ich tun, wenn es keinen öffentlichen Nahverkehr gibt? Ich brauche auch keine Fernreisen. Aber ich gönne sie denen, die dafür gearbeitet haben und sich darüber freuen. Ich esse nur wenig Fleisch. Aber manchmal schmeckt es mir einfach!

Und nun diese Dürre. Da frage ich mich: Was habe ich falsch gemacht? Könnte ich denn anders leben, ohne dafür gleich in eine Höhle im Wald zu ziehen? Soll ich denn leben wie in der Steinzeit? Könnten wir alle anders leben – so dass es wirklich die Natur schont und die Erde sich nicht weiter erwärmt? Wie kann ich als Einzelner Einfluss ausüben?

In der Bibel kündigt der Prophet Elia dem König Ahab die Dürre als Auswirkung seines selbstsüchtigen und gottlosen Verhaltens an. Ich finde an diesen alten Geschichten immer wieder beeindruckend, wie realistisch sie sind. Da missbraucht ein Einzelner seine Macht – und alle müssen darunter leiden. Die Auswirkungen treffen nicht nur den Einen oder die Wenigen, die etwas Schlechtes getan haben. Sie treffen unterschiedslos alle. Es gibt Folgen des verkehrten Verhaltens.

Ich glaube, diesen Realismus der Bibel brauchen wir. Er hilft uns, dass wir uns nicht etwas in die Tasche lügen. Und noch etwas zweites beeindruckt mich immer wieder: Die Bibel erzählt nichts von gleichgültigem Schulterzucken. Damals gab es kein: Du wirst schon sehen, was du davon hast! Aber auch kein: Ja, dann ist es eben so.

In der Bibel stiehlt Gott sich nicht aus der Affäre. Er schickt Menschen, die etwas sagen, die etwas tun. Das können Sie auch, das kann ich! Sagen: Mir ist das nicht egal! Ich möchte, dass es anders geht! Es kann anders gehen – wenn wir das alle gemeinsam wollen!

Die Frage ist also nicht: Was habe ich falsch gemacht? Sondern: Was können wir alle anders machen? Natürlich fängt es bei jedem einzelnen Menschen an. Aber es reicht nicht, wenn ich alleine auf Fleisch verzichte, ein Elektroauto fahre und fairen Kaffee trinke. Und dann feststelle, dass sich dadurch noch nichts geändert hat – und schlimmstenfalls denke: Ach, dann ist es auch egal!

Es ist nicht egal. Das ist die wichtigste Botschaft, die mir die Geschichte von Elia und Ahab gibt. Es ist nicht egal, was wir tun – oder was wir lassen. Und der andere Mensch ist nicht egal. Wir teilen uns diese Welt.

Mir macht die Geschichte von Elia Mut. Mut, wo ich mich zurückziehen und die Dinge einfach laufen lassen möchte. Stattdessen möchte ich lieber gemeinsam mit anderen Menschen darüber nachdenken, mit welchen kleinen Schritten wir Einfluss nehmen können. Und mit anderen gemeinsam politische Maßnahmen einfordern. Einen schnelleren Ausstieg aus allen Verbrennungstechniken etwa. Oder höhere Steuern auf umweltschädlichen Verbrauch.

Und wenn wieder einer sagt: Das stimmt doch alles gar nicht! Oder: Ich kann ja doch nichts tun! – Dann möchte ich ruhig mit ihm darüber reden, welche Gefahren für die Zukunft es wirklich gibt. Und ihn davon überzeugen, mit mir zusammen zu überlegen, was wir gemeinsam tun können. Dann sind wir ja schon mindestens zwei! Und mit Gott zusammen sogar drei.

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SWR2 Lied zum Sonntag

Ich erinnere mich an einen Winterabend in einem kleinen Dorf im Hunsrück. Eine alte Frau schlägt vor, „Schönster Herr Jesu“ zu singen. Begeistert stimmen alle ein. Ich als ganz junger Pfarrer kenne das Lied nicht. Doch ich sehe, wie schön die Menschen strahlen, als sie es singen. Was für ein wundersames Lied! Es macht die Menschen schön, die es singen. Vor 340 Jahren wurde es zum ersten Mal gedruckt. Es ist ein richtiges Volkslied geworden. Die Menschen haben ihm neue Melodien gegeben. Mit dieser hier habe ich es kennengelernt:

Musik: Schönster Herr Jesu, Strophe 1

Der Jesus, den dieses innige Lied besingt, ist nicht der Jesus der Evangelien. Kein Kreuz, keine Wunder, keine Gleichnisse. Aber schön ist er. Schöner als alles, was sonst in der Welt schön ist.
„Schön leucht die Sonne, schön leucht der Monde und die Sternlein allzumal. Jesus leucht schöner, Jesus leucht reiner als alle Engel im Himmelssaal.“

Der französische Schriftsteller Albert Camus hat reine Schönheit einmal das Brot des Herzens genannt, das Menschen genauso bräuchten wie Brot und Gerechtigkeit. Camus schrieb, er könne sich ohne Hintergedanken an einem schönen Gedicht erfreuen.
Unschönes gibt es weiß Gott genug auf der Welt. Das Lied malt dazu ein Gegenbild. Es spricht von den Blumen, die verwelken, den Menschen, die sterben – „doch Jesus lebt in Ewigkeit“:

Musik: Schönster Herr Jesu, Strophe 4

Ein Herzensschatz. Ein unzerstörbar schönes Gegenbild gegen alles Bittere und Furchtbare in der Welt. Fassbar für das Herz, begreifbar für die Seele. Ich meine, Camus hat recht: Dieses Brot des Herzens brauchen wir Menschen. Als Christ glaube ich, dass es Jesus ist, der mich mit diesem besonderen Brot nährt.

Das Volkslied vom schönsten Jesus kann auch heute Herzen stark und fest machen und sie randvoll füllen mit der Schönheit einer himmlischen Welt. Gott wird greifbar schön in Jesus. Die Menschen, von denen ich das Lied gelernt habe, leben alle nicht mehr. Doch ich werde nie vergessen, wie schön sie beim Singen ausgesehen haben. Ihr Gesang hat mein Herz reich gemacht.

Musik: Schönster Herr Jesu

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Musiktitel 1:
Reger, Max, Schönster Herr Jesu WoO VI/13.10
Interpreten: Langner, Susanne; Böhme, Ullrich. CD: Lieder, Track 4, Rondeau Production

Musiktitel 2:
Reger, Max, Nr. 10: Schönster Herr Jesu
aus: 12 deutsche geistliche Gesänge für fünf- bis achtstimmigen Chor a cappella
Interpreten: NDR Chor Hamburg; Rademann, Hans-Christoph
CD: Es sungen drei Engel. Reger vocal (2)
Strophe 4

Musiktitel 3:
Schönster Herr Jesu
Interpret: Gäbler, Hanjo
CD: Alte Kirchenlieder, Track 11, Funkworld Medien

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen. Aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“ Das hat Fritz Bauer einmal geschrieben. Fritz Bauer war in den Sechzigerjahren Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Als Jude und Sozialdemokrat war er von den Nazis verfolgt worden. Später hat er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Verbrecher von Auschwitz vor Gericht zu bringen. Vor 50 Jahren, im Juli 1968, ist er gestorben.

„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen. Aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“ Ich finde den Satz realistisch. Unsere Welt ist nun mal nicht das Paradies. Aber er gibt mir auch zu denken. Wünscht sich nicht jeder Mensch ein bisschen Himmel auf Erden? Glück, Frieden, Gesundheit – wer möchte das nicht!

Aber der Himmel sieht ja nicht für alle gleich aus! Da richtet sich einer das ein, was für ihn der Himmel ist – und für andere wird die Erde zur Hölle. Das hatte Fritz Bauer ja erlebt: Der Himmel der so genannten Arier war die Hölle für Juden und Sozialdemokraten. So geht das oft: Die einen wollen mit allen Mitteln ihre Vorstellung vom Himmel durchsetzen. Und für andere wird das Leben dann zur Hölle auf Erden. Ich glaube, Beispiele dafür kennt jeder von uns. Eltern, die ihre Kinder in ihre eigenen Vorstellungen von einem guten Leben einsperren. Leute, die gegen den Nachbarn prozessieren, weil er ein anderes Bild von einem himmlischen Garten hat. Verheiratete, die den Partner auf Biegen und Brechen ihren eigenen Vorstellungen anpassen wollen. Oder Menschen, zu deren Bild von Heimat es gehört, dass alles draußen bleibt, was ihnen fremd vorkommt.

Vielleicht sollten wir lieber nicht versuchen, aus der Erde einen Himmel nach unseren eigenen engen Vorstellungen zu machen. Sonst könnte die Erde für andere zur Hölle werden.
Das Gefährliche ist: Die Erde wird nicht auf einmal zur Hölle, mit einem großen lauten Knall. Das passiert eher langsam und unmerklich. Wenn viele merken, dass sich etwas verändert hat, dann ist es oft schon zu spät. Meistens haben sich die Menschen dann schon daran gewöhnt. Sie nehmen die Veränderungen gar nicht mehr als etwas Besonderes wahr. So muss es damals, zu Beginn der Nazizeit, gewesen sein. Und heute scheint es fast schon normal, dass Menschen immer lauter und unversöhnlicher übereinander herziehen. Vor allem im Internet hetzen sie gegen andere, die sie nie persönlich kennengelernt haben. Wann hat das angefangen? Wann ist es so laut und rechthaberisch geworden?

Ich habe es nicht richtig gemerkt. Es ist schleichend passiert. Inzwischen finde ich es richtig schlimm. Aber muss das so bleiben? Wie kann unsere Erde zu einem Ort werden, an dem wir alle gut leben können? Was können wir dafür tun?

Eine mögliche Antwort darauf finde ich in der Bibel. Dort fordert der Prophet Jesaja seine Mitmenschen auf: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“
Mein Fleisch und Blut: Das sind natürlich zuerst einmal meine Kinder. Ich sorge mich darum, dass es ihnen gut geht. Auch wenn sie schon erwachsen sind. Und ich versuche zu verstehen, wie sie denken und fühlen. In vielem einfach anders als ich. Ich habe nicht das Recht, ihnen meine Vorstellungen aufzuzwingen.

Wenn das schon bei meinen Kindern so ist, dann doch erst recht bei allen anderen Menschen. Die meint Jesaja nämlich. Die sind mein Fleisch und Blut. Es sind Menschen wie ich. Meine Nachbarn und Kollegen. Menschen, die auf der Straße an mir vorbeigehen oder im Laden in der Schlange vor mir stehen. Der Obdachlose in der Fußgängerzone. Menschen, die in ihrer Heimat keine Chance auf ein gutes Leben haben, weil es an allem fehlt. Früher kamen sie oft aus Deutschland – in Russland, in Amerika oder in Brasilien haben sie eine neue Chance bekommen. Heute suchen Flüchtlinge aus Ghana oder Nigeria diese Chance bei uns. Andere fliehen vor Bürgerkrieg und Diktatur in ihrer Heimat. Nach einer gefährlichen Flucht kommen sie in Italien an. Dort leben sie am Ende meistens auf der Straße.

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“

Vielleicht wird die Erde doch ein kleines bisschen zum Himmel, wenn Menschen so aneinander handeln. Den anderen wahrnehmen. Erkennen, dass er erst einmal ein Mensch ist wie du und ich. Ein Mensch, der Hunger hat und Angst vor Obdachlosigkeit. Ein Mensch, dem ich vielleicht ganz einfach helfen kann. Ich habe oft erlebt, dass dazu erst einmal nicht viel gehört. Ein bisschen helfen, ein bisschen etwas Gutes für andere tun, ein bisschen den Himmel auf der Erde aufschimmern lassen – das kann wirklich jeder. Jeden Tag. Und wer mehr Zeit und Kraft hat, der tut für einige wenige Menschen mehr.

Auch dann wird die Erde noch lange kein Himmel. Da hat Fritz Bauer einfach recht. Aber unter uns leben Menschen, die schon die Hölle erlebt haben. Und das muss nicht sein. Ich glaube, jeder Mensch trägt ein kleines Stück Himmel in sich. Wenn wir es freundlich und aufrichtig mit anderen teilen, dann wird es größer.

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SWR2 Lied zum Sonntag

Im Sommer liebe ich es, ganz früh draußen zu sein. Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch das Laub und zeichnen goldene Flecken auf dem Gras. Die Welt sieht aus, als wäre sie gerade erst erschaffen. Alles fällt ab von mir, was mich belastet und bedrückt. Der Atem geht leicht und ruhig. Vollkommene Stille – nur die Vögel singen schon. Und ich – wenn ich jetzt singen wollte, dann könnte es so etwas sein:

„Morgengebet“ heißt dieses Lied. Felix Mendelssohn hat es geschrieben, vielleicht unter dem Eindruck eines solchen Sommermorgens. Es ist aus seiner Sammlung
„Lieder, im Freien zu singen“. Mendelssohn hat dabei an Menschen gedacht, die beim Wandern einfach ein Lied anstimmen. Die Worte dieses Liedes hat Joseph von Eichendorff gedichtet, der auch gerne draußen war. Ich sehe ein Grüppchen von Menschen vor mir, die an einem ganz frühen Morgen auf einer Waldlichtung in diese Worte einstimmen:

„O wunderbares, tiefes Schweigen,
wie einsam ist’s noch auf der Welt!
Die Wälder nur sich leise neigen,
als ging‘ der Herr durch’s stille Feld.“

Eine Stimmung wie am siebten Schöpfungstag. Gott in seiner Welt. Alles ist an seinem Platz. „Ich fühle mich wie neu geschaffen“, geht das Lied weiter: „Wo ist die Sorge nun und Not?“

Eine wunderbare Ruhe strömt dieses Lied aus! Sorge und Not, sie sind wohl da. Die Gedanken wollen nicht zur Ruhe kommen. Und ständig strömt Neues auf mich ein. Eigener Kummer, fremdes Leid, das ich mir zu Herzen nehme, Nachrichten aus der Welt und aus der Nachbarschaft. Aber an diesem Morgen, den das Lied beschreibt, da scheint etwas anderes in mein Leben. Ich darf einen Moment heraustreten aus allem, was mich bedrängt. Zur Ruhe kommen. Zu Gott und zurück zu mir selbst finden. Eichendorffs Gedicht öffnet sich in seiner letzten Strophe ganz weit in den Himmel:

„Die Welt mit ihrem Gram und Glücke
will ich, ein Pilger, froh bereit
betreten nur als eine Brücke
zu dir, Herr, über’m Strom der Zeit.“

Alles, was mich sonst beschäftigt, wird in diesem weiten Zusammenhang klein. Ob Freude oder Leid – ich werde nicht ewig darin bleiben. Ich stehe vor Gott, im Frieden des neuen Morgens, und bekomme eine Ahnung, wo ich ewig geborgen bin.

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Musiktitel 1-3:
Eichendorff, Joseph Freiherr von; Mendelssohn Bartholdy, Felix
Nr. 5: Morgengebet aus: 6 Lieder im Freien zu singen für gemischten Chor a cappella, op. 48 Nr. 5
RIAS Kammerchor  Rademann, Hans-Christoph
aus: Lieder op. 41, 48, 59, 88 & 100

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SWR2 Lied zum Sonntag

Eine Welt ohne Grenzen. Eine Welt, in der alle einander verstehen, über alle sprachlichen Grenzen hinweg. Von diesem alten Menschheitstraum erzählt auch die Pfingstgeschichte in der Bibel. Für Petrus und die anderen Jünger wurde dieser Traum Wirklichkeit. Plötzlich war da ein Brausen wie von einem gewaltigen Sturm. Zungen wie aus Feuer haben sich auf die Jünger gesetzt. Die Bibel nennt das Gottes Heiligen Geist. Dieses heilige Feuer hat die Jünger fähig gemacht, in ganz verschiedenen Sprachen zu sprechen.

Ein Lied aus Frankreich lässt mich ein wenig davon nachempfinden. Es heißt: „Esprit de Dieu, souffle de vie“ – „Geist Gottes, Atem des Lebens“. In der nächsten Zeile ist sogar vom „Atem des Feuers“ die Rede! In den Sprachen der Bibel kann das Wort, das wir meistens mit „Geist“ übersetzen, auch „Atem“ oder „Wind“ heißen.

So geht das Lied auf Deutsch: „Atme in uns, Heiliger Geist, brenne in uns, Heiliger Geist, wirke ins uns, Heiliger Geist, Atem Gottes, komm!“
„Komm, du Geist, durchdringe uns, komm, du Geist, kehr bei uns ein! Komm, du Geist, belebe uns, wir ersehnen dich.“ So beschwört die erste Strophe Gottes Geist – auch für Menschen heute, nicht nur vor 2000 Jahren.
„Atme in uns, Heiliger Geist“: Die Bibel erzählt, wie Gott dem Menschen seinen Atem eingehaucht hat. Alles Leben hat etwas von diesem Atem Gottes, sagt die Bibel. Die ganze Welt ist so entstanden.

Mit diesem göttlichen Schöpfer-Atem können Menschen selbst etwas erschaffen. Kunst, Musik, schöne Gedichte. Oder die Verständigung zweier Völker, die jahrhundertelang zerstritten waren – so wie Franzosen und Deutsche. Oder eine weltweite Gemeinschaft – so wie die ursprünglich aus Frankreich kommende geistliche Gemeinschaft Emmanuel, in der das Lied entstanden ist.

„Komm, du Geist der Heiligkeit, komm, du Geist der Wahrheit! Komm, du Geist der Liebe, wir ersehnen dich.“

Der alte Traum von Frieden, Völkerverständigung und einer Welt ohne Grenzen: wie aktuell ist er in der zerrissenen Welt von 2018!
Das Lied steht in fis-moll, einer ganz seltenen Tonart – für Kirchenlieder wird sie eigentlich nie benutzt. Eine Tonart, in der Schmerzliches und Leidenschaftliches anklingen kann, aber auch tiefe Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht danach, dass die Welt heil wird.

Der Glaube an Gottes heiligen Feueratem hält diese Sehnsucht wach. Und diese Sehnsucht will nicht nur träumen, sie will mit Gottes Hilfe etwas Neues schaffen. Versöhnung, Einheit, Verständigung – dafür brennt der pfingstliche Glaube! Dafür beschwört er Gottes Atem, Gottes Geist: „Komm, du Geist, mach du uns eins, komm, du Geist, erfülle uns! Komm, du Geist, und schaff uns neu, wir ersehnen dich.“

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Musik 1-3
Esprit de Dieu, souffle de vie
Interpreten: Chantes de l’Emmanuel, CD: Il est vivant! Best of louange, Vol. 54, CD 2, Track 14, IEV Musique, AVM, Editions de l’Emmanuel,

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“ Ich glaube, diese alte Redensart spricht etwas Wichtiges an. Was könnte friedlicher, fröhlicher und besänftigender sein als Gesang? Ein Mensch, der gerne singt, mit dem ist meistens gut auszukommen. Und kaum etwas verbindet Fremde so sehr wie gemeinsames Singen!

Ich weiß natürlich auch: Es gibt richtig böse und gemeine Lieder. Es gibt Hass- und Hetzgesänge. Dennoch hat der Spruch nicht ganz unrecht. Singen ist fröhlich und macht fröhlich. Um das Singen geht es auch an diesem Sonntag. Der hat in der evangelischen Kirche nämlich einen besonderen Namen: „Kantate“. Das ist Latein. Auf Deutsch heißt es einfach: „Singt!“

Das gefällt mir. Singt mehr! So möchte ich den Leuten, denen ich begegne, gerne zurufen. Traut euch, eure Stimme singend zu erheben und das zu üben. Ja, ich weiß: Viele Menschen sagen über sich selbst, dass sie nicht singen können. Oft ist es aber nur so, dass sie es sich nie richtig getraut haben. Und dass sie es nie richtig geübt haben. Zu beidem möchte dieser Sonntag Mut machen.

Ich glaube, Musik ist ein besonderes Geschenk Gottes. Für mich ist es sogar die Sprache Gottes. Und ich glaube, Gott hat jedem Menschen eine eigene, besondere Stimme geschenkt! Darum wird in Gottesdiensten immer viel gesungen. Denn Gesang richtet einen Menschen auf und bringt ihn dem Himmel näher. Gekrümmt und zusammengesackt kann man nicht singen, das schaffen höchstens ausgebildete Opernsänger. Solches aufrechte Singen macht Mut und Hoffnung. Und singend lassen sich Mut und Hoffnung besonders gut weitergeben.

Zum Beispiel am Bett eines Kindes. „Breit aus die Flügel beide, o Jesu, meine Freude, und nimm dein Küchlein ein.“ Das habe ich als kleines Kind abends vorgesungen bekommen. Ich habe die Worte damals nicht genau begriffen. Trotzdem habe ich das Lied verstanden. Ich wusste: Ich soll beschützt sein. Ich soll ruhig schlafen können und am nächsten Morgen munter und fröhlich wieder aufwachen. Und ich habe die sanfte Stimme meiner Mutter oder meiner Großmutter mit in meinen Schlaf genommen.

Seitdem ist Singen für mich etwas, das gut tut. Etwas, das es warm und hell macht zwischen Menschen. So wie ein Gutenachtlied für ein kleines Kind.

Gesang hilft mir, dass ich hoffen kann und Zuversicht entwickele. Ja, die bösen Menschen haben wohl auch ihre Lieder. Aber gerade in Diktaturen haben Menschen immer viel gegen die grausame Herrschaft angesungen. Singen macht Mut. Und gemeinsames Singen kann sogar stärker sein als Panzer und Gewehre! Weil es die Herzen stark und weit macht, so dass die Angst keinen Platz mehr darin hat.

 

Singen macht die Angst kleiner. Jeder, der als Kind einmal im Dunklen gesungen hat, weiß das. Das Kind, das gegen seine Angst und Einsamkeit ansingt, beschwört damit alle guten Mächte. Es ruft sozusagen Gottes Engel auf den Plan und bittet sie: „Helft mir gegen die dunklen Ecken, in denen sich etwas Böses versteckt und mich bedroht! Seid bei mir und geht schützend zu meiner Seite!“

An diese Schutzengel der Kindheit hat auch Dietrich Bonhoeffer gedacht, als er in einem furchtbaren Gefängnis sein berühmtes Gedicht geschrieben hat: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Viele Menschen haben mir schon erzählt, wie dieses Gedicht ihnen Mut gemacht hat. „Von guten Mächten wunderbar geborgen“: Längst kann man diese Worte auch singen. Menschen singen das, wenn sie sich trostlos und ungeborgen fühlen. Das Lied macht es für sie wärmer und heller. Es richtet sie auf.

Als die Menschen in Estland, Lettland und Litauen vor 30 Jahren gegen die sowjetische Herrschaft auf die Straße gingen, da haben sie gesungen. Verbotene Lieder. Lieder, die ihnen Hoffnung und Mut gemacht haben. Gemeinsames Singen verbindet und hilft gegen Angst und Einsamkeit. Und wenn verschiedene Stimmen zusammenklingen und ein neues Ganzes bilden, dann ist das für den einzelnen Sänger und die einzelne Sängerin ein wunderbares Gefühl. So wird der Einzelne stark und mutig.

Natürlich können Menschen dieses Gottesgeschenk missbrauchen. Wir Menschen sind nicht immer gut. Daher ist auch das, was wir singen, nicht immer gut. Doch heute, an diesem Sonntag Kantate, da möchte ich Sie dazu ermutigen, Ihrer Stimme zu vertrauen. Denn ich glaube wirklich, dass Gott jedem und jeder von uns mit der Gesangsstimme ein eigenes Geschenk gemacht hat.

Auch den Menschen, die nicht mehr selber singen können oder die es sich nie getraut haben. Auch die hat Gott mit diesem Geschenk gemeint. Ich kann einem anderen Menschen zuhören, der singt, und mir so in die Seele sprechen lassen. Das geht auch am Radio! Oder ich kann die Augen schließen und mir den Gesang vorstellen. Vielleicht ist es die Stimme der Mutter aus der Kindheit, die dann zu hören ist. Vielleicht auch die eigene Stimme, die nicht mehr laut singen kann. Vielleicht die Stimme Gottes, die mir direkt ins Herz singt.

Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Und wenn Sie können und mögen: Singen Sie mit! Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

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SWR2 Lied zum Sonntag

„Ja“: Dieses Wort bezieht Position. Wie oft höre ich als Antwort auf eine Frage: „Keine Ahnung.“ Oder auf eine Bitte: „Mal sehen.“ „Ja“ dagegen gibt eine klare Antwort oder ein Versprechen. Ein „Ja“ lässt mich nicht im Ungewissen, Unsicheren, Ungefähren.
Mit einem „Ja“ fängt auch das heutige Lied zum Sonntag an. „Ja, ich will euch tragen bis zum Alter hin. Und ihr sollt einst sagen, dass ich gnädig bin.“

Jochen Klepper hat diese Worte 1938 gedichtet. Ein Lied des Vertrauens auf Gottes Hilfe, geschrieben in Deutschland, während das Nazi-Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht war. Klepper und seine jüdischen Angehörigen gerieten unter immer stärkeren Druck. Da war kein „Ja“. Da war ein immer bedrohlicheres „Nein“. „Nein, wir wollen euch nicht. Nein, ihr habt kein Recht.“

In dieser Lage erinnert Klepper sich an Worte des Propheten Jesaja in der Bibel: „Vom Mutterschoß an seid ihr mir aufgeladen. Ich will euch tragen, bis ihr grau werdet.“ Klepper klammert sich geradezu an diese Worte. Und fügt ein Wort ein, das in der Bibel an dieser Stelle gar nicht steht: „Ja.“

„Ist mein Wort gegeben, will ich es auch tun.“ Was Gott durch den Propheten vor langer Zeit versprochen hat, das will er halten. Gott steht zu seinem Wort. Darauf möchte ich auch heute vertrauen. Zum Beispiel am Bett des alten Mannes, der sich sehnlich wünscht, endlich sterben zu dürfen. Oder im Gespräch mit dem Flüchtling, der nach Jahren der Unsicherheit endlich hören will: „Ja, du darfst bleiben.“

Oft fällt es schwer, Gottes Hilfe zu sehen. Zu glauben, dass Gott noch zu seinen Versprechen steht. Jochen Klepper beschwört in seinem Lied die Erinnerung daran, wie Gott in der Vergangenheit am Werk war. Und er fährt geradezu verhalten fort: „Denkt der frühern Jahre, wie auf eurem Pfad euch das Wunderbare immer noch genaht.“

Das Wunderbare hat sich euch genaht. Vielleicht passt dieser vorsichtige Satz zu den Erfahrungen heutiger Menschen. Nicht vollmundig von Wundern zu reden und alle Angst und Sorge, allen Druck und alles Leid einfach beiseitezuschieben.

Gerade Menschen, die Grund genug zur Klage haben, sagen dennoch überraschend oft und sehr überzeugt „Ja“ zu ihrem Leben. Sie spüren, dass Gott „Ja“ zu ihnen sagt. Durch alles Unerfreuliche oder sogar Bedrohliche hindurch. Ja, das Wunderbare hat sich ihnen immer wieder genaht. Vielleicht nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

Davon erzählen Lieder wie das von Jochen Klepper – oder auch die Geschichten der Bibel. Sie können mir heute helfen, meine sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Erlebnisse zu sortieren. Und das „Ja“ Gottes darin zu finden, wie schwach und verhalten auch immer.
Mit diesem „Ja“ kann ich leben. Damit kann ich meine Arbeit tun und meinen Plänen nachgehen. Gott trägt mich, wie er immer schon Menschen getragen hat.

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Musikangaben:

Musiktitel 1: Ja, ich will euch tragen
Interpreten: Gerhard Schnitter, Das Solistenensemble, CD: Die größten Choräle aus fünf Jahrhunderten, CD 1, Track 15, Hänssler Musik
Labelcode: 07224
Musiktitel 2: wie zuvor, 3. Strophe
Musiktitel 3: wie zuvor, 6. Strophe
Musiktitel 4: wie zuvor, 7. Strophe

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

„Da sind deine Worte wirklich auf fruchtbaren Boden gefallen!“, hat mir ein Kollege gesagt. Ich habe mich gefreut. Und verstanden, dass er das natürlich nicht ganz wörtlich meint. Meine Worte sind keine Samen. Doch so wie Samen in fruchtbarem Erdreich gut aufgehen und Frucht bringen können – genauso können Worte aufgehen und Frucht bringen. Sie können etwas bewirken bei dem, der sie hört.

Mein Kollege hat mit seinem Vergleich gemeint: Da haben dir Menschen bereitwillig zugehört. Sie denken jetzt nach über deine Worte. Sie haben sie sich zu Herzen genommen. Und früher oder später wird man sehen, was dabei herauskommt. Wirkungslos waren sie jedenfalls nicht, die Worte.

Das kann auch ganz anders sein. Jesus hat mit einer kleinen Geschichte gezeigt, dass Worte ganz unterschiedlich wirken können. Er hat von einem Sämann erzählt, der seinen Samen übers Land streut. Ein Teil fällt auf einen Trampelpfad, den die Leute sich durch das Feld gemacht haben. Es wird zertreten, und die Vögel fressen es auf. Anderes fällt auf Felsengrund, da kann es keine Wurzeln treiben und verdorrt. Wieder anderes fällt unter Unkraut und Dornen und wird davon erstickt.

Aber keine Sorge, hat Jesus dazu gesagt: Da bleibt noch genug übrig. Das fällt auf fruchtbaren Boden, geht auf und bringt hundertfache Frucht. Vielleicht übertreibt Jesus da ein bisschen. Aber sie gibt mir zu denken, seine kleine Geschichte. Wie oft gehen Worte im Geschiebe und Getriebe der Leute unter. Mir geht das immer wieder so. Und ich weiß, dass es auch anderen ständig passiert. Manchmal habe ich das Gefühl, keiner hört mehr richtig zu. Es ist wirklich wie bei den Samen, die von den Leuten zertreten werden. Was einer sagt, hat gar nicht die Chance, bei den anderen anzukommen.

Und ich kenne es auch, dass ich andere Menschen einfach nicht erreiche. Sie sind wie versteinert. Voller Schmerz, Angst oder Sorge. Hart geworden von schlechten Erfahrungen und Enttäuschungen. Ich spreche mit ihnen und merke: Eigentlich kann ich mir die Spucke sparen. Sie können mich nicht verstehen. Oder wollen sie nicht? Ob es anderen mit mir auch zuweilen so geht?

Und auch das kenne ich: Die Worte fallen durchaus auf fruchtbaren Boden. Aber da ist noch ganz viel anderes, das wächst mit ihnen. Und das wächst viel schneller. Wie Dornengestrüpp. Am Ende ist von den guten Worten nichts mehr übrig. Sie sind wie erstickt von all dem Gelaber und Geschwätz. Aber dann doch auch das: Mir sagt einer was – und ich denke: Mann, das ist es! Das ist ja die Idee! – Oder jemand sagt mir etwas so Liebes und Schönes, dass mir ganz warm wird ums Herz und ich mir diese Worte ganz lange merke. Viele Jahre vielleicht. Ja, diese Worte bringen hundertfache Frucht!

II
Ich erinnere mich zum Beispiel besonders gern daran, wie meine Großmutter mich immer verabschiedet hat. Meine Großeltern haben sehr weit von uns weg gewohnt, ich habe sie nur selten gesehen. Und wenn wir dann wieder fuhren, dann hat meine Großmutter immer gesagt: „Gott behüte dich, mein Junge.“
Als ich noch kleiner war, habe ich über diesen Satz nicht besonders nachgedacht. Das war eben einfach so ein lieber Oma-Spruch. Aber als ich älter wurde und sie das immer noch gesagt hat – da habe ich plötzlich gemerkt, wie gut mir dieser Satz getan hat. „Gott behüte dich.“

Meine Großmutter ist inzwischen seit vielen Jahren tot. Aber ihren Satz höre ich immer noch. Sie hat ihn noch gesagt, als sie schon ganz schwach und krank war und nur noch ganz leise sprechen konnte. Da habe ich immer schon auf diesen Satz gewartet. Ich wusste: Viel wird sie nicht mehr sagen, meine alte Großmutter. Aber am Ende, da wird dieser Satz kommen. Gott behüte dich.

Diese Worte kamen bei dieser frommen Frau von Herzen. Sie waren für sie das Kostbarste, was sie mir schenken konnte. Dieser Segenswunsch, der hat tief in meiner Seele Wurzeln geschlagen. Und ich denke, er hat Frucht gebracht, dieser Satz.

Ich weiß seitdem, dass wir Menschen einander mit Worten Gutes tun können. Dass wir Worte sagen können, die wie ein dicker Mantel schützen und wärmen. Worte können ja auch so nutzlos sein. Oder so furchtbar und gemein. Das sind die Unkraut-Worte, die alles andere ersticken. Aber Worte können auch andere Menschen umhüllen und aufrichten. Sie können einen Weg weisen, Hoffnung geben, stark machen in Zweifeln und Mutlosigkeit.

Wenn solche guten Worte auf fruchtbaren Boden fallen, dann können sie unendlich viel bewirken. Ein Kind, das liebevolle Worte zu hören bekommt, glaubt an sich und geht voller Vertrauen durchs Leben. Dieser Samen aus der Kindheit kann bis ins hohe Alter Frucht bringen. Meine Großmutter hat uns Enkelkindern Liebe und Gottvertrauen weitergegeben. Sie hat darauf vertraut, dass ihre Worte bei uns auf guten Boden fallen.

Heute kann ich sagen: Alles, was ich glaube, hat in diesem Segenswunsch seinen Ursprung. Das war der Same. Er ist bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen. Nun möchte ich versuchen, davon weiterzugeben. So wie es meine Großmutter bei mir getan hat.
Und so wünsche ich Ihnen an diesem Sonntag: Gott behüte Sie!

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SWR2 Lied zum Sonntag

„Nun lasst uns gehn und treten
mit Singen und mit Beten
zum Herrn, der unserm Leben
bis hierher Kraft gegeben.“

Paul Gerhardt, der große protestantische Liederdichter, hat diese Worte in der Mitte des 17. Jahrhunderts geschrieben. Ich weiß, das ist nicht mehr wirklich aktuell. Heute Nacht werden die meisten Menschen das neue Jahr eher mit Pfeifen, Zischen und Knallen begrüßen als mit Singen und mit Beten. Doch ich finde, auf diesem Weg von einem Jahr zum andern sollte das Singen und Beten nicht fehlen.

Musik

Die Melodie dieses Liedes stammt von einem noch älteren Lied: einem Danklied für alles, was wir von Gott bekommen haben. Der Rhythmus der vier kurzen Zeilen ist immer gleich. Ein langsames Schreiten wie bei einer Prozession.

Das passt auch zu dem Text von Paul Gerhardt. Er erzählt von einer Wanderung, die uns vom alten Jahr in das neue führt. Wenn ich mich auf eine Wanderung mache, dann weiß ich, das wird etwas anstrengend. Aber das nehme ich gerne in Kauf. Ich habe ein Ziel, und ich möchte unterwegs etwas sehen und erleben. Ich habe mir vielleicht vertraute Menschen ausgesucht, mit denen ich diese Wanderung gemeinsam unternehme. Es wird gewiss gut, und ich brauche keine Angst zu haben.

So möchte ich auch ins neue Jahr hineinwandern: voller Zuversicht und Vertrauen, durch alles hindurch, was mich erschrecken mag. Ich gehe meinen Weg getrost.

Musik

Angst und Plagen sind wohl da. Aber sie halten mich nicht von meinem Weg ab. Gott lässt uns wie eine Mutter ihre Kinder auf dem Schoß sitzen, heißt es in einer anderen Strophe. Gottes Augen wachen über uns.
Was für tröstende, ermutigende Bilder! Doch ist das nicht ein zu naiver Glaube? Angesichts all des Unheils in der Welt? Passt Gott wirklich auf?

Als Paul Gerhardt diese Verse geschrieben hat, stand er noch unter dem Eindruck eines 30 Jahre dauernden Krieges. „Krieg und große Schrecken, die alle Welt bedecken“ – damals wie heute also. Damals hat Paul Gerhardt seinem tiefen Gottvertrauen Ausdruck gegeben. So möchte ich auch heute den Schrecken begegnen: voll Vertrauen, dass Gottes Augen meinen Weg sehen und dass Gott mein Leben behütet.

Auf der Wanderung vom alten in das neue Jahr folge ich gerne dem Weg, den Paul Gerhardt ausschildert. Und ich lade Sie ein, sich mir anzuschließen! Diese Welt mit ihren großen Schrecken hat Menschen nötig, die etwas anzufangen wissen mit solch altmodischen Worten wie Gottvertrauen. Menschen, die darauf vertrauen, dass Gottes Segen auch im neuen Jahr wirkt und die Schrecken kleiner macht. So bitte ich Gott mit Paul Gerhardts Worten:

Sprich deinen milden Segen
zu allen unsern Wegen,
lass Großen und auch Kleinen
die Gnadensonne scheinen.

Musik

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Musiktitel 1und 3:
M0056951 01-009 N. N.; Reger, Max (2) Nr. 3: Nun laßt uns gehn und treten
aus: 3 Choralbearbeitungen für Weihnachten, Neujahr und Epiphanias für dreistimmigen Frauenchor a cappella, op. 79g
NDR Chor Hamburg, Frauenstimmen; Rademann, Hans-Christoph
Es sungen drei Engel. Reger vocal

Musiktitel 2:
M0493332 01-008 Selnecker, Nikolaus; Kringler, Uli; ...
Nun lasst uns gehen und treten
Kaiser, Sarah; Gast auf Erden – Paul Gerhardt neu entdeckt

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