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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

Als Kind habe ich jedes Jahr zu Weihnachten einen Wunschzettel geschrieben. Die Dinge, die mir sehr wichtig waren, standen ganz oben auf der Liste: Ein Hund, ein neues Fahrrad, bestimmte Bücher oder Spielsachen. Das waren aber vielleicht gar nicht einmal meine dringendsten Wünsche. Zum Beispiel habe ich mich danach gesehnt, dass ich nach einem Umzug in der neuen Klasse Freunde bekäme. Dass mein Vater mehr Zeit für mich hätte. Wünsche ans Leben sozusagen. Doch wie hätte ich die auf den Zettel schreiben können? Und wer ist eigentlich für diese Sorte Wünsche zuständig? Als Kind habe ich darauf keine Antwort gehabt.
Heute schreibe ich keine Wunschzettel mehr. Und wenn ich andere frage, was sie sich wünschen, dann höre ich immer häufiger: Ich weiß nicht, ich hab doch alles.
Aber dann haben sie doch Wünsche. In den Vordergrund rücken Dinge, die man sich nicht kaufen kann. Wünsche ans Leben also. Die eigentlichen Herzenswünsche. Dass die alleinerziehende Tochter Hilfe findet für ihre vielen Probleme. Dass es mit dem Ehepartner noch einmal so werden kann wie früher. Dass die schwerkranke Mutter nicht so leiden muss und noch ein bisschen bleiben kann.
Es kränkt, wenn solche Wünsche nicht erfüllt werden. Wer das mehrmals erlebt, der gibt das Wünschen irgendwann ganz auf. Die unerfüllten Wünsche rutschen tief in irgendeinen Winkel seines Herzens. Das Leben geht weiter.
So ging es einem Paar, von dem Lukas am Anfang seines Evangelium erzählt: Zacharias und Elisabeth. Zwei gute, fromme Menschen, nicht mehr ganz jung - und kinderlos. Ich kenne Paare, die sich jahrelang vergeblich ein Kind wünschen. Ich kenne auch Paare, die bitter geworden sind, weil sich ihr Kinderwunsch nicht erfüllt hat. Irgendwann war es einfach zu spät.
So ist es offenbar auch bei Zacharias und Elisabeth. Sie sprechen nicht mehr über ihren Herzenswunsch. Beide gehen sie ohne Klagen ihrer Arbeit nach. Zacharias ist Priester im Jerusalemer Tempel. Er ist alleine und tut seinen Dienst am Altar, während die Menge draußen betet. Da kommt ein Engel.
Ein bisschen ist das wie im Märchen! Da tritt an solchen Stellen eine gute Fee auf und sagt: Du hast drei Wünsche frei!
Der Engel lässt Zacharias gar nicht erst wählen. Er kennt seinen Herzenswunsch. Ohne Umschweife überbringt er die Nachricht, dass dieser Wunsch jetzt erfüllt werde. Der Wunsch, über den sie beide nicht mehr gesprochen haben! Den sie längst in einem tiefen Winkel ihres Herzens vergraben haben! Alltagspflichten und sicher auch manche Sorge und andere Enttäuschung haben ihn überlagert. Das Leben lässt Wünsche offen - so ist das eben!
Wie würde ich reagieren, wenn plötzlich so ein Engel vor mir stünde? Das, was ich mir ganz sehnlich wünsche, soll auf einmal Wirklichkeit werden! Und es ist kein Märchen und kein Traum! Gott hat an mich gedacht!

Gott hat an Zacharias und Elisabeth gedacht und ihnen den Herzenswunsch erfüllt, an den sie selbst kaum mehr geglaubt haben. Elisabeth wird schwanger.
Zacharias kann das noch nicht glauben. Für ihn war die Sache längst erledigt. Nur nichts mehr wünschen, dann wird man auch nicht mehr vom Leben enttäuscht!
Ich sehe den Engel förmlich mit der Schulter zucken: Okay, dann bleibe stumm, bis das Kind geboren wird. Und übrigens: Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt worden, um mit dir zu reden und dir diese frohe Botschaft zu bringen.
Jetzt hätte Zacharias vielleicht gerne etwas gesagt. Aber jetzt geht es nicht mehr. Zu lange hat er sich das Wünschen nicht mehr erlaubt. Jetzt verschlägt es ihm die Sprache. Er kann es nicht fassen: Elisabeth soll endlich das lang ersehnte Kind bekommen! Eigentlich ein Grund, zu singen und vor Freude zu tanzen! Aber so schnell kann sich Zacharias nicht aus seiner jahrelangen Erstarrung lösen.
Und Elisabeth, die sicher nicht gerne an Plätze gegangen ist, wo sie viele Frauen mit ihren Kindern treffen würde - Elisabeth zieht sich fünf Monate lang aus der Öffentlichkeit zurück. Bis im sechsten Monat ein junges Mädchen aus ihrer Verwandtschaft zu ihr kommt: Maria. Auch sie hat der Engel Gabriel besucht. Auch Maria ist schwanger. Und sie singt ein jubelndes, triumphierendes Lied. Als Elisabeths Kind dann geboren wird und Zacharias wieder sprechen kann - da singt er auch!
Warum hat Zacharias dem Engel nicht geglaubt? War es doch die Stimme seines Herzens, die da vor ihm Gestalt angenommen hat! Hat er nicht mehr auf sein Herz gehört?
Diese Geschichte macht mich nachdenklich. Und ein bisschen erschreckt sie mich auch. Höre ich auf die Stimme meines Herzens? Kann ich das - so im Alltag eingebunden, in die täglichen Pflichten? Traue ich mich noch, dem zu glauben, was mein Herz mir erzählt? Oder wie kann ich das Hoffen wieder lernen? Wie kann ich üben, auf mein Herz zu hören?
Die Adventszeit ist eine gute Gelegenheit dafür. Advent, das ist fast so etwas wie eine Schwangerschaft. Jeden Sonntag ein Licht mehr auf dem Adventskranz. Ich lasse etwas in mir reifen. Ich höre in mich hinein, bereite mich vor, warte, freue mich. Vieles, was in mir verschlossen war, lebt wieder auf. Ich hole mir grüne Zweige ins Haus und beginne wieder zu hoffen.
"In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat ..." So fangen Märchen an. Im Märchen wird alles wahr, wenn man nur fest daran glaubt! Wer auf sein Herz hört und dem Leben vertraut, der bekommt die Prinzessin und das halbe Königreich! Ich weiß, dieses Vertrauen ist nicht immer leicht. Darum muss manchmal ein Engel kommen und sagen: Fürchte dich nicht! Jetzt wird wahr, was du dir gewünscht hast!
Auch heute noch kann das Wünschen helfen! Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit!

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SWR4 Abendgedanken RP

Kennen Sie die Telefonnummer Gottes? 50 15 heißt sie - nach Psalm 50, Vers15. Dort steht: "Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen."
Nun, Gott kann ich natürlich nicht mit dem Telefon anrufen! Oder besser gesagt: Ich brauche dafür kein Telefon. Übers Telefon kann ich andere Notrufe absetzen. Dafür gibt es die Notrufnummern 110 und 112.
Und so alt die "Telefonnummer Gottes" ist - ich kann gar nicht fassen, dass es diese beiden Notrufnummern bundesweit und flächendeckend erst seit 38 Jahren gibt. Ein Kind musste dafür sterben: Björn Steiger. Der Neunjährige wurde im Jahr 1969 auf dem Nachhauseweg vom Schwimmbad von einem Auto angefahren. Passanten alarmierten sofort die Polizei und das Rote Kreuz. Obwohl noch mehrfach angerufen wurde, dauerte es fast eine Stunde, bis der Krankenwagen eintraf. Björn starb nicht an seinen Verletzungen, sondern am Schock. Seine Eltern Ute und Siegfried Steiger gründeten bereits wenige Wochen nach Björns Tod die "Björn Steiger Stiftung". Hilda Heinemann, die Frau des Bundespräsidenten, unterstützte sie und öffnete der Stiftung die Türen in die Politik.
Die Björn Steiger Stiftung setzte sich für deutschlandweite einheitliche Notrufnummern ein. Am 23. September 1973 war es dann endlich so weit: Seitdem haben wir die 110 für die Polizei und die 112 für die Rettungsdienste.
Wenn ich mitbekomme, wie Menschen schwer verletzt werden, dann rufe ich natürlich zuerst die 112 - sie gilt mittlerweile fast überall in Europa. Doch dann darf ich auch Gott anrufen. 5015. Psalm 50, Vers 15. Rufe mich an in der Not. Und ich will dich erretten, verspricht Gott. Also: Einen Moment innehalten. Aus dem Bannkreis des Unglücks heraustreten. Gott kommt nicht mit Blaulicht und Martinshorn. Doch ich spüre, wie er mir seine Stärke, Ruhe und Kraft gibt. Ich lasse die Not einen Moment lang hinter mir und leihe mir Gottes Atem. Im Vertrauen auf diese Kraft des Himmels kann ich vielleicht helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Es ist gut, dass ich alle Notrufnummern kenne: die irdischen und die himmlische.

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SWR4 Abendgedanken RP

"Das gibt's bei uns nicht! Entweder du hältst dich an unsere Regeln oder du brauchst mit uns nicht mehr zu rechnen! Etwas Drittes gibt es nicht!"
Wie mich solche Sätze aufregen! Und dann ertappe ich mich, wie ich gleich einsteige in dieses Entweder-Oder-Spiel: "Entweder verstehn die mich jetzt - oder sie lassen es eben bleiben!"
Doch manchmal fasse ich mich an den Kopf und frage mich: Gibt's hier eigentlich auch noch ein drittes Programm?!
Im deutschen Fernsehen gibt es das seit heute genau 47 Jahren. Bei uns Christen schon ein paar Jahre länger.
Schalten wir mal um: Jerusalem. Vor fast 2000 Jahren. In einer der Hallen des Tempels sitzt Jesus. Um ihn herum steht eine große Menschenmenge, Juden wie er. Jesus legt ihnen die Gebote Gottes aus, wie sie in den 5 Büchern Mose stehen. Die Leute hängen an seinen Lippen. Wie lebendig er das alles erklärt! Endlich versteht man das mal!
Natürlich passt das den Gelehrten nicht, die eigentlich für diese Auslegungen zuständig sind. Sie bringen eine Frau zu ihm, die beim Ehebruch erwischt wurde, und fragen: Mose hat uns geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
Ja, was soll Jesus sagen? Da ist sie, diese Entweder-Oder-Falle. Entweder muss die Frau sterben und die vielen Zuhörer werden sich von Jesus abwenden. Oder er nimmt die Partei der Ehebrecherin ein. Dann wird es heißen: Der legt sich die Gebote auch zurecht, wie es ihm gerade passt!
Jesus - bückt sich und schreibt mit dem Finger auf die Erde. Als die Gelehrten ihn weiter bedrängen, sagt er nur diesen einen Satz: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Da gehen sie alle beschämt weg.
Das ist das dritte Programm. Jesus lässt sich nicht in die Entweder-Oder-Falle locken. Er gibt den anderen Zeit, zu erkennen, wie unsinnig ihre Alternative ist. Damit eröffnet er allen einen neuen Weg. Die beschuldigte Frau wird ihn als Erste gehen.
"Entdecke die Möglichkeiten!", fordert eine bekannte Möbelhauskette auf. Ja, ein guter Rat! Denn vor Gott gibt es meistens mehr als zwei Möglichkeiten.

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SWR4 Abendgedanken RP

Es gibt Tage, da mag ich mich gar nicht! Da sehe ich nur, was ich alles nicht kann und nicht weiß. Da fällt mir nur auf, was ich schon wieder nicht geschafft habe. Da bin ich reizbar, unleidlich und unerträglich. Ja, es gibt solche Tage!
Und nun lese ich, dass an diesem Tag, am 21. September, zwei kleine Papierstückchen Geburtstag haben. Die sind so unscheinbar, dass sie auf meinem übervollen Schreibtisch leicht verloren gehen könnten. 164 Jahre sind sie heute alt, die beiden Papierstückchen, weltberühmt - und Millionen wert! Es sind die Rote und die Blaue Mauritius. Die bekanntesten Briefmarken überhaupt. Auch wer keine Marken sammelt, hat irgendwann einmal von ihnen gehört.
So viel Aufhebens um zwei kleine schlecht ausgeschnittene, langweilig bedruckte Stücke Papier?! Das gibt mir zu denken. Ist Gott nicht eigentlich auch so ein Sammler?
Unter den Milliarden Menschen sind ja schon einige recht seltsame Marken! Und leider auch solche, zu denen mir gar nichts mehr einfällt - die finde ich so entsetzlich, um die muss sich Gott selbst kümmern.
Aber ansonsten: Sind wir für Gott nicht auch so eine Blütenlese unkopierbarer Einzelstücke? Je seltener eine Marke, desto teurer ist sie. Von der Blauen Mauritius gibt es nur noch zwölf Exemplare. Na ja, denke ich: Mich gibt es nur einmal! Da stellt sich nicht einmal die Frage nach einem Fehldruck. Und auch der Mensch, der mir da gerade über den Weg läuft und mir sehr seltsam vorkommt, ist ein unbezahlbares Einzelstück in Gottes Sammlung. Nun, jede Sammelleidenschaft hat schon etwas Verrücktes!
Doch seit mir bewusst geworden ist, dass ich auch so ein unbezahlbares Einzelstück bin, gehe ich etwas gnädiger mit mir um. Wenn ich Gott wirklich so viel wert bin, dann kann's schon nicht ganz so schlimm sein! Auch wenn ich vielleicht nicht die Blaue Mauritius in Gottes Sammlung bin! Obwohl - wer weiß?!

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SWR4 Abendgedanken RP

Heute ist Weltkindertag. Richtig, denken vielleicht einige unter Ihnen: Für die Kleinsten unserer Gesellschaft kann nicht genug getan werden! Na ja, wenden vielleicht andere ein: Um unsere Kinder wird doch heute viel zu viel Wesen gemacht! Davon werden sie maßlos und wissen gar nicht mehr, welche Regeln gelten und wo es Grenzen gibt!
Ich sage: Genau darum muss es einen Weltkindertag geben. Nicht um alle Kinder kümmern sich liebevolle Eltern, Großeltern und andere Erwachsene. Nicht alle Kinder haben einen sicheren Rahmen, in dem sie ihre Begabungen entwickeln und entfalten können. Viele Kinder kennen keinen Rahmen, weil es niemanden gibt, der sich darum Gedanken macht. Wir brauchen einen Weltkindertag für die Kinder, die körperlich und seelisch überfüttert werden, die alles haben, nur keinen, der auf ihre Bedürfnisse antwortet. Wir brauchen einen Weltkindertag für die Kinder, denen Unmengen an Lernstoff zugemutet wird, ohne dass sie ihn einordnen können. Und für die Kinder, die alles über Sex wissen, aber nichts von der Liebe. Die nicht wissen, wie Menschen einander Halt und Sicherheit geben und wo sie solchen Halt finden.
Viele Erwachsene interessieren sich für die so genannte Kaufkraft der Kinder. Aber nur wenige für ihre Gaben und Fähigkeiten - und Ausbildung und Arbeit gibt es längst nicht für alle. Nicht nur für Straßenkinder und Ghettojugendliche brauchen wir den Weltkindertag, sondern auch für unsere Kinder. Die unter uns leben. Die laut sind und immer mehr dürfen, aber denen immer weniger zugehört wird.
Sogar die Jünger Jesu haben Erwachsene daran hindern wollen, ihre Kinder zu Jesus zu bringen, lese ich in der Bibel und denke: Also damals auch schon! Als die Kinder dann doch zu Jesus kommen dürfen, geht er ganz anders mit ihnen um, als es die Menschen erwarten. Er nimmt sie in den Arm, er nimmt sie ernst - und sagt den Erwachsenen: Werdet wie die Kinder!
Was heißt das?
Die Antwort habe ich neulich auf dem T-Shirt eines kleinen Mädchens gelesen: "Unfollkommen ..., aber geliebt." "Unvollkommen" mit "f" geschrieben.

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SWR4 Abendgedanken RP

Erinnern Sie sich an "Ötzi"? Ich meine jetzt nicht DJ Ötzi, den österreichischen Schlagersänger, sondern die Steinzeitmumie aus den Ötztaler Alpen in Südtirol.
Vor über 5000 Jahren kam ein Mann dort ums Leben. Ein Gletscher verbarg die Leiche und konservierte sie. Heute vor 20 Jahren gab der Gletscher die Mumie wieder frei.
Sie wurde untersucht und erforscht. Was bleibt von einem Menschen, wenn keiner mehr lebt, der sich noch an ihn erinnert? Die Mumie erzählt uns, dass Ötzi ein Mensch war.
Aber hatte er auch eine Familie - Menschen, die ihn liebten und die ihn vermissten, als er nicht mehr aus den Bergen zurückkam? Wenn er morgens aufwachte, hatte er dann eine bestimmte Vorstellung von seinem Tagesablauf? Und wenn er sich abends schlafen legte, gingen ihm da Ereignisse und Begegnungen des zu Ende gegangenen Tages durch den Kopf? Welche Hoffnungen, Wünsche und Träume hatte er - und welche Ängste, Sorgen und Nöte? Welches Essen hat ihm besonders gut geschmeckt - auch wenn der Speiseplan in der Steinzeit nicht sehr abwechslungsreich war? Was hat ihn wütend gemacht und was hat ihn zum Lachen gebracht? Was machte ihn glücklich, was betrübte ihn?
Wir haben nichts als eine vom Eis konservierte Mumie. Die beantwortet uns alle diese Fragen nicht. Der Mann aus der Steinzeit bleibt uns fremd - und war doch bestimmt in vielem ganz ähnlich wie wir.
Ungefähr in der Mitte der Zeit, die uns von Ötzi trennt, dichtete ein anderer Unbekannter diese Worte: "Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt."
Wir sind wie Ötzi nur ein Staubkorn in der Geschichte der Welt. Und doch sind wir für Gott etwas Besonderes - auch Sie, auch ich; egal, was kommt. Gott erinnert sich in alle Ewigkeit an uns. Ich finde, das ist ein wunderbarer Gedanke, um mit ihm diesen Tag zu beschließen!

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SWR4 Abendgedanken RP

Nach mir wird man nie einen Monat benennen. Obwohl ich Christian heiße und damit nach Christus selbst benannt bin! Aber Julius Cäsar, nach dem der Monat Juli seinen Namen hat, spielt natürlich in einer ganz anderen Liga als ich.
Das ist auch völlig in Ordnung für mich. Ich hätte ohnehin Schwierigkeiten, mich für einen Monat zu entscheiden, der nach mir benannt werden könnte. Sind nicht alle Monate schön, jeder auf seine Art? Von mir aus muss der Juli dieses Jahr nicht so extrem heiß werden wie letztes Jahr. Doch gerne würde ich wieder an schönen warmen Sommerabenden noch lange draußen sitzen!
Zurück zu Julius Cäsar: Augustus, wie Cäsar römischer Kaiser, fand es eine gute Idee, den Juli nach seinem berühmten Vorgänger zu taufen. Dafür wurde später der August nach ihm benannt. Gut, dass diese Mode nicht einriss! Sonst hätten wir vielleicht auch einen Monat Napoleon oder einen Monat Wilhelm. Hätte es nach diesem Schema auch einen Monat Adolf gegeben, so wäre der ja sicher rasch wieder umbenannt worden. Und die französische Revolution schuf tatsächlich einen neuen Kalender - es war übrigens Napoleon, der das wieder rückgängig machte. Nach diesem Kalender hätten wir heute den 13. Messidor.
Nein, bleiben wir bei Juli! Ich kann den Namen von Menschen, die mir wichtig sind, auch ehren, ohne gleich einen Monat nach ihnen zu benennen. Ich spreche den Namen eines Menschen, den ich gern habe, bereits ganz anders aus: voller Freude - der Name allein ist schon ein Willkommensgruß.
Vor Gott ist es der Name, mit dem wir getauft wurden. "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen", sagt Gott zu jedem Täufling, "du bist mein." Gott spricht unsere Namen voll Freude aus. Und er bürgt mit seinem Namen für unser Leben: "Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen."
Nein, einen eigenen Monat brauche ich nicht. Aber einen Namen, mit dem mich Gott ruft und mit dem ich mich vor Gott und den Menschen verantworte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10926
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SWR4 Abendgedanken RP

Heute vor 39 Jahren gab es zum ersten Mal eine Schaltsekunde - am Tagesende wurde eine Sekunde angefügt, um die offizielle Zeit mit der mittleren Sonnenzeit in Übereinstimmung zu bringen. Soweit ich mich erinnere, habe ich dieses bedeutende Ereignis damals einfach verschlafen. Dreiundzwanzig Mal wurde seither ein Jahr um eine Sekunde verlängert.
Ich bin beeindruckt! Da merken Wissenschaftler, dass das Jahr eine Sekunde zu kurz ist, und hängen einfach die Sekunde hinten dran. Und gleich gehen selbst die genauesten Uhren eine Sekunde nach, wenn sie nicht neu gestellt werden. Dass eine Sekunde so wichtig sein kann!
In meinem Alltag ist das selten so. Ich gestehe, dass ich meist eher etwas großzügig mit der Zeit umgehe - leider zuweilen auch mit der Zeit anderer. Wenn ich im Radio die Piepstöne vor den Nachrichten im Sekundenabstand höre, dann bewundere ich diese Präzision. Aber wenn ich mich bei einer Verabredung verspäte, hoffe ich, dass keiner auf den Sekundenzeiger schaut und mir jede Sekunde vorhält, die ich zu spät bin!
Im Straßenverkehr weiß ich allerdings, dass es auf Sekunden ankommen kann. Eine Sekunde kann tatsächlich über Leben oder Tod entscheiden, zum Beispiel an einer roten Ampel. Und für die Schrecksekunde muss dann auch noch Zeit sein!
Also tun unsere Wissenschaftler vermutlich doch gut daran, die Sekunden so zu achten. Und ich sollte jede Sekunde und Minute meines Lebens achten - ebenso wie die Jahre und Jahrzehnte. Es ist alles meine Zeit. Geschenkte Zeit, mit anderen geteilte Zeit. Zeit, die mir viel länger werden kann als sie eigentlich ist - und Zeit, die wie im Flug vergehen kann, wenn sie gerade am schönsten ist. Wie auch immer sich die Zeit anfühlt - die Bibel sagt: Sie steht in Gottes Händen. Daran will ich denken, wenn mich das nächste Mal jemand bittet, ich möchte doch noch "ein Sekündchen" warten.

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SWR4 Abendgedanken RP

Heißen Sie Peter oder Petra, Paul oder Paula - oder vielleicht auch Pierre, Pauline, Piet oder Pawel? Dann ist heute Ihr Tag! An diesem Tag sollen die Apostel Petrus und Paulus unter Kaiser Nero nach dem Brand von Rom hingerichtet worden sein.
Früher gab es viel Brauchtum um den Peter- und Pauls-Tag - so in Siebenbürgen das Kronenfest, bei dem eine große Krone aus Wiesenblumen auf einen hohen Mast gesteckt wurde. Man gedachte der Märtyrer Peter und Paul und bat, vor Katastrophen verschont zu werden.
Eine schöne Art, das Gedenken an wichtige Personen mit dem eigenen Alltag zu verknüpfen! Wenn ich in meinem Alltag an Petrus oder an Paulus denke, dann frage ich mich: Wie gehe ich mit meinen Fehlern und Versäumnissen um? Petrus war ein sympathisches Großmaul. Für Jesus hat er mehrmals den Mund sehr voll genommen. Am Ende verleugnete er Jesus drei Mal, als der gefangen war und man Petrus auch gleich festnehmen wollte. Und Paulus nennt sich im Blick auf seine Geschichte als Christenverfolger einmal eine Missgeburt.
Was kann ich von den beiden lernen? Ich mache Fehler, immer wieder und nicht zu knapp! Ich ärgere mich darüber, ich schäme mich über mich selbst. Ich höre den Vorwürfen anderer zu, versuche mich zu rechtfertigen - und weiß doch, dass sie recht haben, jedenfalls immer ein bisschen. Von Paulus kann ich lernen, mit mir selber ins Gericht gehen. Aber ich kann auch von ihm lernen, mich darüber zu freuen, dass Gott mich trotzdem wichtig nimmt und mir eine Aufgabe zutraut. Und dann kann ich auch ein Märtyrer sein - hoffentlich ohne den Kopf abgeschlagen zu bekommen oder mit dem Kopf nach unten gekreuzigt zu werden. Ein Märtyrer ist nämlich einer, der Zeugnis ablegt. Der von dem spricht, wovon er überzeugt ist. Das traut Gott mir zu. Und Ihnen. Wie immer Sie auch heißen!

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SWR4 Abendgedanken RP

"Streitet euch nicht!", sagte meine Oma immer. Aber man muss doch manchmal streiten! Wenn man sich nicht einig ist - wie soll man es sonst austragen?!
Nun hatte meine Großmutter allerdings zwei Weltkriege und zweimal Flucht erlebt. Acht Jahre war sie alt, als in Sarajewo der österreichische Thronfolger erschossen wurde. Das war am 28. Juni 1914, also heute vor fast 100 Jahren. Dieser Mord löste eine Kettenreaktion aus, an deren Ende fünf Wochen später der Erste Weltkrieg begann. Genau fünf Jahre später unterschrieb in Versailles die deutsche Delegation den Friedensvertrag. Das war die Ursache für eine weitere Kettenreaktion. An ihrem Ende standen die nationalsozialistische Schreckensherrschaft und der Zweite Weltkrieg.
"Streitet euch nicht": Nein, so einfach geht es nicht. Weder in der großen Politik noch in der kleinen Familie. In Deutschland haben wir nach dem 2. Weltkrieg erst mühsam angefangen, streiten zu lernen, ohne dass das Ganze in Krieg ausartet. Wir führen heute keine Kriege mehr gegen unsere Nachbarn und schicken unsere Jugendlichen nicht mehr zu Tausenden auf die Schlachtfelder in den sicheren Tod.
Dennoch beteiligt sich die Bundeswehr am Krieg in Afghanistan. Und dort sterben Menschen. In ein paar Wochen werde ich ein junges Paar aus meiner Gemeinde trauen - und bete, dass der Bräutigam vorher heil wieder aus Afghanistan zurückkommt.
Ich wünschte, nirgends auf der Welt müssten junge Männer und Frauen ihr Leben aufs Spiel setzen - nur weil ein Konflikt nicht politisch gelöst werden kann. Aber ich weiß auch, dass das manchmal einfach nicht geht. Die Propheten Jesaja und Micha haben das vor fast 3000 Jahren auch schon gewusst. Und doch haben sie gesagt: "Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen."
Der Weg dahin ist lang. Und er führt über richtigen Streit. Möge der Gott des Friedens uns beistehen und uns helfen, zu streiten und uns wieder zu versöhnen!

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