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SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR2 Wort zum Tag

25JAN2024
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Da ist einer vom Saulus zum Paulus geworden! Diese Redensart wird benutzt, wenn ein Mensch eine bisher vertretene Ansicht ganz grundsätzlich ändert. Sie bezieht sich auf ein in der Bibel berichtetes Ereignis, an das die Kirche am heutigen Tag erinnert: Paulus, ein frommer Jude, der die Anhänger des neuen Christusglaubens zunächst bekämpft, hat eine Erscheinung. Danach wird er zu einem einflussreichen Anhänger Jesu von Nazareth. Bald auch zum ersten großen theologischen Denker des neu aufkommenden christlichen Glaubens. 

Saulus ist sein jüdischer Name. Paulus sein römischer. Und er ist auch nach der einschneidenden Wende in seinem Leben beides geblieben. Frommer Jude und Bürger des römischen Reiches. Es stimmt also nicht, dass er vom Saulus zum Paulus wird. Sondern er wird in beiden Rollen ein anderer. 

Von Paulus kann ich also Entscheidendes lernen. In einem Leben gibt es immer beides. Brüche und Neuanfänge. Manchmal so grundlegend, dass Menschen ihr Leben in ein davor und ein danach einteilen. Nach einem beruflichen Neuanfang. Oder einem Umzug. Nach einer Genesung. Nach dem Tod eines lieben Menschen. Für Paulus ist die Begegnung mit Christus vor den Toren von Damaskus ein solch einschneidendes Ereignis. Aber auch nach einem solchen fundamentalen Bruch bin ich nicht einfach mit einem Mal ein ganz anderer Mensch. Das Wesentliche meiner Persönlichkeit bleibt. Ich lebe jetzt allerdings unter veränderten Vorzeichen. Und darin bin ich dann irgendwie neu.

An Paulus kann man das Verhältnis dessen, was neu wird, zu dem, was bleibt, sehr schön sehen. Paulus wirft seinen jüdischen Glauben nicht einfach weg und ersetzt ihn durch einen neuen. Er gibt auch seinen Beruf nicht einfach auf. Aber er verändert seine Sicht auf diesen Jesus aus Nazareth. Er schließt sich dessen Anhängerinnen und Anhängern an. Neugeworden ist er also gerade nicht durch den Wechsel vom Saulus zum Paulus. Sondern durch die Neubestimmung dessen, was ihn trägt. Aber als die eine Person, die er vor und nach der großen Wende in seinem Leben gewesen ist.

Das geht also: Ich kann ein anderer, eine andere werden, kann, ja muss mich entwickeln. Aber ich brauche dabei nicht alles über den Haufen werfen, was mir bisher wichtig gewesen ist. Ich muss nicht meine Identität aufgeben. Ich bleibe, wer ich bin. Und gehe doch neugeworden meinen Weg weiter. Als Saulus und als Paulus. 

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SWR2 Wort zum Tag

13DEZ2023
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Das Foto haben wir immer noch: Meine Frau mit einem Lichterkranz auf dem Kopf. Brennende Wachskerzen im Haar. So wie die Heilige Lucia. Ich hatte die ganze Zeit Sorge, dass meine Frau Feuer fängt. Zum Glück ist das nicht passiert.

Heute ist der Gedenktag der Lucia von Syrakus. Ihr Name ist Programm: Lucia, „die Leuchtende“. An das herbeigesehnte Licht erinnert der heutige Gedenktag der Lucia.

Gelebt hat Lucia im dritten Jahrhundert in Syrakus auf der Insel Sizilien. Heimlich hat sie dort verfolgte Christen unterstützt, die sich in den Katakomben der Stadt versteckt hielten. Ihr Kerzenkranz ist eigentlich so etwas wie eine Stirnlampe. So hatte sie beide Hände frei, um damit Gutes zu tun. Später wird sie selber gefangengenommen und getötet. Die Erinnerung an Lucia wird ganz besonders in Schweden aufrechterhalten. Also da, wo die Nächte in dieser Jahreszeit besonders lang und dunkel sind.

Weniger bekannt ist ein anderer Lucia-Brauch: der Lucia-Weizen. Auf einem Teller wird Weizen in nasser Watte ausgesät. Und an Weihnachten erinnert ein kleines Weizenfeld daran, dass im Winter selbst im gefrorenen Boden eine große Grünkraft schlummert, die im kommenden Frühjahr alles wieder aufblühen lässt.

Fast alle Bräuche im Advent verbindet dieselbe Sehnsucht: Sie bringen den Wunsch nach Licht zum Ausdruck. Und die Erwartung, dass nach dem winterlichen Stillstand der Natur die neue Lebendigkeit nicht auf sich warten lässt. Deshalb wurde auch ein Satz des Jesaja weihnachtlich gedeutet: „Aus dem toten Baumstumpf wird ein Zweig hervorbrechen. Und eine Wurzel wird Früchte tragen.“ (Jesaja 11,1)

Mir helfen solche Bilder. Mit ihrer Hilfe kann es mir gelingen, vom Sorgen-Modus in den Hoffnungs-Modus zu wechseln. Die Wochen des Advents bieten mir Gelegenheit, das einzuüben. Bei allem, was mir derzeit zu schaffen macht, will ich die Frage nicht verlieren: Wie wünsche ich mir, dass sich alles weiterentwickelt? Und wo kann ich in meiner kleinen Welt etwas dazu beitragen? Um anzupacken, brauche ich nicht einmal das Risiko einzugehen, brennende Kerzen auf dem Kopf zu balancieren. Aber meine Hände und Füße und auch meinen Kopf, die brauche ich schon. Um wie Lucia ein paar Hoffnungslichter anzuzünden.

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SWR2 Wort zum Tag

12DEZ2023
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Mein Schreibtisch sieht immer nach Arbeit aus. Da liegt ein Stoß geöffneter Briefe, auf die ich noch antworten muss. Daneben Bücher, die ich für einen Vortrag wenigstens noch querlesen möchte. Auf mehreren Stapeln türmen sich Unterlagen, für die ich gerade keinen anderen Platz finde. Dazwischen ein paar persönliche Dinge. Ein Würfel aus Sandstein vom Freiburger Münster. Ein Stück Bronze als Erinnerung an einen Glockenguss. Nur in der Mitte ist ein großes Feld frei. Da schreibe ich meine Briefe. Oder platziere den Rechner, um etwas daran zu arbeiten.

Auf den ersten Blick mag das ziemlich chaotisch aussehen. Aber ich brauche diese Umgebung. Manches bekomme ich sogar nur in dieser Umgebung hin. Ganz gegen den Trend: Denn der Schreibtisch, der abends wieder gänzlich leer ist, hat in vielen Firmen Hochkonjunktur. Damit am nächsten Tag ein anderer Mitarbeiter den Schreibtisch nutzen kann, darf nichts darauf zurückgelassen werden. Denn seit Corona sind fast nie alle Mitarbeitenden auf einmal da. Und so ein Schreibtisch soll ja nicht leer stehen. Nur die Mitarbeitenden, die etwas entwickeln, die kreativ sein müssen, dürfen einen eigenen Schreibtisch behalten. Und ihre Sachen darauf auch liegen lassen. Die brauchen ihr kreatives Chaos, damit sie ihre Arbeit gut machen können.

Mich erinnert das an den Advent. In dieser Zeit versuche ich, vieles von dem wegzuräumen, was mich die Monate vorher in Anspruch genommen hat. Der Tisch, auf dem sich die Aufgaben meines Lebens angesammelt haben, soll zumindest etwas leerer werden. Ich möchte mehr Ordnung in die Unübersichtlichkeit meines Lebens bringen. Ganz weg bekomme ich sie allerdings nicht. Für mich reicht es aus, wenn ich mich besinne - wenn ich meine Sinne auf das richte, was mir wirklich wichtig ist. Etwas mehr Zeit für die Menschen, die mein Leben bereichern. Ein Lebenszeichen, über das sich der eine oder die andere freut. Womöglich ein paar Seiten mehr am Tag für ein Buch, das ich endlich fertig lesen möchte.

In einem Brief des Apostels Paulus heißt es einmal, Gott sei nicht ein „Gott der Unordnung“. Aber der Gegensatz zur Unordnung ist bei Paulus dann nicht die Ordnung, sondern der Friede. (1. Korinther 14,33) Friede ist hier der Begriff für eine erträgliche Lebenswirklichkeit. Da muss nichts perfekt sein. Aber alles soll einem besseren Leben dienen. In meiner kleinen Welt. Und in der großen sowieso.

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SWR2 Wort zum Tag

11DEZ2023
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Für heute Abend habe ich Freunde und Nachbarn eingeladen. Wir feiern das ökumenische Hausgebet im Advent. Jedes Jahr bringt die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Baden-Württemberg dazu eine Vorlage heraus. Neben Texten und Liedern immer auch ein Bild. In diesem Jahr stammt das Bild von dem tschechischen Künstler Tomas Smetana. Ein Weihnachtsbild - auf den ersten Blick nicht anders als viele Weihnachtsbilder. Alle, auf die es ankommt, sind mit dabei. Maria und Josef. Einer der sternenkundigen Könige aus dem Osten. Natürlich Ochs und Esel. Doch beim zweiten Hinsehen fällt etwas Besonderes auf. In der Mitte – da wo sonst die Krippe mit dem Kind hingehört, ist - nichts. In der Weihnachtsszene fehlt die Krippe. „Das Bild ist einfach nicht fertig geworden“, erklärt Tomas Smetana diese besondere Bildkomposition.

Nicht fertig werden. Ich kenne dieses Gefühl. Die Liste mit den Aufgaben ist lang. Zu vieles habe ich mir vorgenommen. Und es bleibt immer noch etwas übrig. Gerade im Advent.

Weil da etwas fehlt. Mit dem Künstler gesprochen: Weil die Krippe fehlt. Die Mitte, auf die ich mich ausrichten könnte. Stattdessen drängen sich andere Dinge nach vorn. Das ganze Weihnachtsvolk ist da. Wie auf dem Bild. Die Familie. Freundinnen und Freunde. Nachbarn. Kolleginnen und Kollegen. Irgendwie haben sie alle ein Anrecht, im Blick zu sein. Durch eine Begegnung. Eine Einladung. Eine Weihnachtskarte. Aber vieles müsste gar nicht jetzt sein. Da schieben sich von außen Erwartungen in mein Leben. Und ich kann ihnen gar nicht allen gerecht werden. 

Das leere Feld mitten im Bild – es übermittelt mir auch eine Botschaft. Es kommt mir vor, wie eine Bühne. Da fehlt nicht einfach nur etwas. Diese offene, leere Fläche bietet mir auch einen Gestaltungsraum. Hier könnte mein Zugang ins große Geschehen der Weihnacht liegen. Der Prophet Jesaja schreibt einmal: „Sogar ein Ochse weiß, was für ihn wichtig ist. Und ein Esel, wo er seinen Platz findet.“ (Jesaja 1,3) Mir bleiben noch knapp zwei Wochen, um mich zu entscheiden, wie ich dieses Jahr diese weihnachtliche Bühne nutze. Was sich dort abspielen soll. In der Krippe, die auf dem Bild fehlt, liegt: ein Mensch. Gott hatte die Idee, den Menschen ins Zentrum zu rücken. Daran möchte ich mich orientieren.

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SWR2 Wort zum Tag

04NOV2023
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Seit kurzem haben wir eine Photovoltaikanlage auf unserem Dach. Ganz wunderbar finde ich die App, die dazugehört. Da kann ich immer genau verfolgen, wie viel Strom die Anlage gerade erzeugt. Ob er ausreicht für das Licht und die Spülmaschine. Oder ob ich noch Strom aus dem Speicher oder aus dem Netz brauche. Wenn die Sonne ordentlich scheint, kann ich sogar überschüssigen Strom ins Netz einspeisen.

 

Spontan habe ich gedacht: Wie wäre es, wenn es so etwas für mein Leben geben würde? Eine Möglichkeit, meine Kraftreserven einzuschätzen. Und meine Lebensenergie. Ist mein innerer Kräftespeicher gefüllt? Oder muss ich schauen, woher mir neue Kräfte zuwachsen? Zum Glück gibt es auch viele Tage, an denen ich anderen von meinen Kräften weitergeben kann.

 

Die Rolle, die bei der Solaranlage die Sonne übernimmt, übernehmen in meinem Leben andere. Zuallererst die Menschen, mit denen ich zusammenlebe. Die mir guttun. Und die es gut mit mir meinen. Gelingende, tragende Beziehungen, oft über Jahrzehnte, sind eine Energiequelle voller Kraft. Auf die bin ich angewiesen.

 

Lebensenergie kommt mir aber auch ganz entscheidend aus meinem Glauben zu. Kein Wunder, wird doch Gott in der Bibel immer wieder mit der Sonne verglichen. „Sonne und Schild“ sei Gott. (Psalm 84,12) Und ein altes Kirchenlied singt von der „Sonne der Gerechtigkeit“.

 

Nein, messen und verwalten kann ich die Kraft dieser Sonne nicht. Auch nicht die Energie, die mir aus anderen Quellen zukommt. Aber spüren kann ich sie. Wenn ich mich engagiere. Andere Menschen an meiner Kraft und Lebenslust teilhaben lasse. Oder wenn ich darauf angewiesen bin, dass es auch einmal umgekehrt geht. Und ich abwarte, bis andere mir ihre Kräfte leihen. Manchmal ist es auch eine besonders schöne Erfahrung, dass ich auch so etwas wie einen inneren Speicher habe, in dem Gutes und Schönes gesammelt ist. Dass da etwas in mir nachklingt und nachwirkt. Auch über längere Zeit.

 

Eine App auf dem Handy brauche ich dafür nicht. Eher ein gutes Gespür für das, was heute für mich dran ist. Und eine Portion Gottvertrauen. Vor allem dann, wenn die Tage manchmal etwas trister daherkommen. Denn wenn schon die Anlage auf dem Dach auch dann Energie erzeugt, wenn die Sonne gar nicht wirklich zu sehen ist – wieso soll es mit Gott dann anders sein?!

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SWR2 Wort zum Tag

03NOV2023
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Fast jeden Tag kann ich das kleine Schauspiel bewundern. Ein Kind, an der Hand eines Erwachsenen, das plötzlich vor unserem Haus stehen bleibt. Im Belag des geteerten Weges gibt es da nämlich eine kleine Vertiefung. In der steht selbst dann noch das Regenwasser, wenn der Weg selber schon lange trocken ist. Die Kinder entdecken die kleine Dauerpfütze sofort. Und treten lustvoll in das aufspritzende Nass.  

Ich beneide Kinder um diese Gabe: Sie entdecken etwas, was die meisten Erwachsenen gar nicht wahrnehmen. Und sie haben offenkundig ihre große Freude daran. Wenn ich dann wieder eines der Kinder beim Pfützentreten beobachte, fällt mir manchmal ein Satz Jesu ein: „Wenn ihr nicht werdet wie diese Kinder, bleibt das Reich Gottes für euch verschlossen.“ (Matthäus 18,3) Ich gebe zu: Ich habe diesen Satz lange nicht wirklich verstanden. Kinder haben doch noch so wenig Lebenserfahrung. Kennen sich in den Problemzonen des Lebens so wenig aus – wie sollen sie für mich Türöffner ins Himmelreich werden können? Jesus antwortet mit diesem Satz, als seine Freunde ihn fragen, wer denn der Größte sei im Himmel. So, als ob sich das Spiel von oben und unten, von wichtig und unwichtig, von groß und klein immer weiter fortsetzt.

Genau diesem Denken stellt Jesus das Beispiel der Kinder gegenüber. Natürlich: Kinder haben auch ihre Machtkämpfe. Sie können sich richtig streiten. Aber es geht nicht um Sein oder Nichtsein. Kinder, so verstehe ich diesen Satz, bleiben im Übungsmodus. Probieren und verwerfen. Erfinden das Leben immer wieder neu. Ihre Art zu leben hat etwas Spielerisches. Alles kann noch einmal neu und ganz anders werden. Und doch sind sie in diesem Spiel des Lebens mit Ernst bei der Sache. Und entdecken für sich Möglichkeiten, an denen wir Erwachsenen achtlos vorbeigehen.

 

So entdecke ich im Strahlen auf dem Gesicht der kleinen Pfützentreter eine kleine Vorahnung des Himmels. Freude pur. Für einen Moment. Ehe dann wieder anderes wichtig wird. Der Käfer, der weiter vorne über den Weg läuft. Vielleicht auch Mama oder Papa, denen das jetzt doch zu lange geht, weil sie ihre Erwachsenentermine haben. Aber wenn ich nachher aus dem Haus gehe, will ich’s den Kindern einmal nachmachen. Ich will mir Zeit lassen. Womöglich auch einmal in die Pfütze treten. Und schauen, wo ich heute schon ein Stück Himmelreich entdecken kann.

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SWR2 Wort zum Tag

02NOV2023
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Letzte Woche war's ein wertvolles Weinglas, das mir beim Spülen einfach auseinandergebrochen ist. Und ein paar davor Tage ging mir eine getöpferte Schale zu Bruch. Das Bild mit dem zerbrochenen Rahmen steht immer noch an der Wand. Und erinnert mich jeden Tag aufs Neue daran: Scherben lassen sich manchmal nicht vermeiden. Ob aus Unachtsamkeit. Oder einfach so.

 

Manchmal zerbricht aber auch anderes. In der Beziehung zwischen Menschen. Die Liebe, die ein Paar miteinander verbindet. Das Vertrauen, das in einer langjährigen Freundschaft gewachsen war. Das eingespielte Miteinander zwischen Kolleginnen und Kollegen.

Gleich mehrfach wird in der Bibel das Bild vom zerbrochenen Vertrauen aufgegriffen. Dann wird von Gott als der Kraft gesprochen, die Zerbrochenes wiederherstellt. „Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind“, heißt es etwa in einem Psalm, „und verbindet ihre Wunden.“

Manchmal erzählt mir jemand, warum es in einer Beziehung einfach nicht mehr weitergegangen ist. Und dann höre ich dieselbe Geschichte manchmal auch von beiden Seiten. Dann suche ich nach einer Idee, wie es vielleicht doch noch einmal weitergehen könnte. Wie bei den Scherben aus Ton. Da lässt sich manchmal auch noch einmal etwas reparieren.

In Japan gibt es eine alte, besonders schöne Tradition, mit Zerbrochenem umzugehen. Kintsugi heißt sie. Auf Deutsch: Reparieren mit Gold. Zerbrochene Gefäße werden wieder zusammengeklebt. Aber dann – und das ist das Besondere – werden die Bruchstellen mit Blattgold überzogen. Sie werden nicht verborgen, sondern sollen gerade sichtbar gemacht werden. Umspinnen das neu zusammengefügte Gefäß wie mit goldenen Fäden.

Ins Leben gezogen könnte das heißen: Auch bei zerbrochenem Vertrauen könnte es - manchmal zumindest - weiterhelfen, wenn es gelingt, Bruchstellen mit Blattgold zu überziehen. Das Zerbrechen lässt sich nicht einfach rückgängig machen. Die Spuren bleiben. Wie Narben können die Bruchstellen wirken. Aber mit ihrer Goldauflage sehen sie aus, als seien sie mit Zeichen einer neu erworbenen Schönheit verziert.

Mir hilft gerade mein Glaube beim Versuch, Bruchstellen mit Gold wieder ansehnlicher zu machen und zerbrochenem Vertrauen doch noch einmal eine Chance zu geben. Zum Glück mache ich immer wieder die Erfahrung, dass das geht.

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SWR2 Wort zum Tag

23SEP2023
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Ich liebe den Herbst! Er hat sonnige Tage. Aber die Wärme der Sonne ist wohltuend und erträglich. Die Blätter haben ihr Grün meist schon eingebüßt. Aber bunt sind sie ja noch viel schöner. Irgendwann wird die Kälte des Winters kommen. Aber bis dahin ist es zum Glück noch lang.

Seit meiner Kindheit hat es mit dem Herbst für mich etwas Besonderes auf sich.  Er ist nicht nur der Name einer Jahreszeit. Er ist auch mit einem Tätigkeitswort verbunden. Herbsten, das bedeutet, dass die Trauben in den Weinbergen geerntet werden. Im Moment wird wieder geherbstet! Niemand wintert oder sommert. Aber „herbsten“ – das hat sich als Tätigkeitswort durchgesetzt.

Herbstzeit ist Erntezeit. Der beginnende Herbst – er könnte auch für mich als Mensch, der keinen eigenen Weinberg besitzt, den Einstieg in eine neue Phase im Jahr bedeuten. Ich blicke zurück auf den Anfang des Jahres. Und ich schaue, wo sich vielleicht bald etwas ernten lässt, von dem, was ich gesät und bearbeitet habe. In einer Beziehung. Im Beruf. In einem Projekt, in dem ich mich ehrenamtlich engagiere. Manches ist schon zur Ernte reif. Anderes braucht noch etwas Zeit.

In der Bibel ist das Ernten ein ganz zentrales Thema. Von Oliven und Trauben wird erzählt, die zur Ernte anstehen. Von den reifen Ähren, die geschnitten werden müssen. Im Herbst kommts zum Schwur. Da zeigt sich, was die Menschen zuvor investiert haben. „Der Faule pflügt nicht mehr im Herbst. Er schaut nach der Ernte – und es ist nichts da!“ – so heißt es in einer Sammlung weisheitlicher Sprüche (Sprüche 20,4). Die Versäumnisse des Frühjahrs und des Sommers kommen im Herbst zum Tragen. Aber genauso der Lohn für unermüdlichen Einsatz der letzten Monate.

Ich spüre: Mehr als andere Zeiten wird der Herbst für mich auch zum Bild eines Menschenlebens. Vor allem, wenn’s darum geht zu prüfen, was bleibt. Leben zwischen den Zeiten. Zwischen Sommer und Winter. Zwischen Aufkeimen und Vergehen. Zeit, mit dem, was ich ernten kann, etwas anzufangen, entscheidende Zeit, die mir gewährt wird. Damit ich auch in meinem Leben „herbsten“ kann. Ich hoffe, da lässt sich dann auch einiges an guten Lebensfrüchten ernten. Der heutige Herbstanfang erinnert mich daran.

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SWR2 Wort zum Tag

22SEP2023
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„Kennst du mich noch?“ Immer wieder habe ich solche Begegnungen, die mit dieser Frage beginnen. Ich treffe auf Menschen, mit denen ich in der Schule war. Die ich aus dem Studium kenne. Oder mit denen ich sonst irgendwie zu tun hatte. Auch wenn es manchmal ein paar Sekunden dauert - die meisten erkenne ich dann doch auch wieder.

Erst vor kurzem habe ich wieder jemand getroffen, den ich vor vierzig Jahren das letzte Mal gesehen habe. Und trotzdem war sofort wieder eine Nähe da. Erstaunlich, wie sich die Intensität einer Beziehung auch über einen langen Zeitraum hält.

Über diese vierzig Jahre muss ich seither immer wieder nachdenken. Vierzig Jahre, denke ich – das war doch die Dauer der Wüstenzeit für die Israeliten, der Zeitraum zwischen ihrer Zeit als Sklaven in Ägypten und dem Einzug in ihre neue Heimat, die ihnen wie ein gelobtes Land erscheint. Der biblische Vergleich hinkt natürlich etwas. Hinter mir liegen doch keine Wüstenjahre. Und die Gegenwart ist auch nicht das Gelobte Land. Aber was richtig daran ist: Irgendwann ist eine bestimmte Phase unwiderruflich vorbei. Aufgaben haben sich verändert. Orte, an denen sich mein Leben abgespielt hat. Rollen, die mir zugeschrieben wurden. Aber in allen Brüchen gibt es auch Linien, die weiterlaufen. Der Gott der Sklaven, der Gott der Wüstenzeit und dann auch im neuen gelobten Land – es ist derselbe. Die Beziehung bleibt – mitten in aller Veränderung.

In den meisten Fällen freue ich mich deshalb über die Begegnungen, die mit dem „Kennst du mich noch?“ beginnen. Sie bestätigen mich: Die Beziehung, die einmal war, hat sich nicht einfach aufgelöst. In meinem Kopf, in meinem Gehirn, in meinem Herzen bleibt etwas eingeschrieben. Linien, die unbewusst weiterlaufen. Auch wenn sie manchmal unsichtbar sind.

So kann ich mein Leben in aller Bruchstückhaftigkeit als ein Ganzes sehen. Und in dem, was mein Leben dann zu einem Ganzen macht, sehe ich für mich Gott am Werk. Und Gottes Zusage: „Bis in euer Alter bin ich derselbe!“ (Jesaja 46,4) Gott ist für mich mein bleibendes Gegenüber. In allen Lebensphasen.  Selbst dann, wenn dieses Gegenüber für mich manchmal ganz verschwindet. So wie in andere Beziehungen eben manchmal auch. Mit einem Mal taucht dann Gott ganz überraschend wieder auf: „Kennst du mich noch?“ Dann schaue ich womöglich vierzig Jahre zurück. Vor allem schaue ich zuversichtlich nach vorne.

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SWR2 Wort zum Tag

21SEP2023
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Ich bin nicht schwindelfrei. Und bei anstrengenden Bergtouren komme ich schnell an meine körperlichen Grenzen. Aber ich beneide die Bergsteiger, die sich in den Bergwelten wie in ihrem Zuhause bewegen. So wie den jungen Mann, den meine Frau und ich unlängst als Anhalter mitgenommen haben. Spät am Vorabend, erzählt er, fast um Mitternacht, war er bei einer Berghütte angekommen. Um drei Uhr in der Frühe war er am Vortag mit zwei anderen Bergsteigern aufgebrochen. Drei Gipfel hintereinander haben sie dann bestiegen. Auf einem Grat, den in diesem Jahr bisher noch niemand vorher gegangen war. Der Stolz steht dem jungen Mann ins Gesicht geschrieben, als er davon berichtet.

Ob das nicht doch sehr gefährlich gewesen sei, habe ich ihn gefragt. „Ich glaube, die Fahrt hier auf der Autobahn ist viel gefährlicher!“, gab er zur Antwort. „Man muss sich halt nur immer gut absichern und darf keine Angst haben.“ Und er hat dann noch hinzugefügt: „Das Wichtigste ist nicht der Umgang mit dem Berg und seinen Herausforderungen. Das Wichtigste passiert im Kopf. Ich muss immer präsent sein. Und hellwach. Damit ich genau weiß, was als Nächstes zu tun ist. Und: Wir müssen uns als Gruppe blind aufeinander verlassen können.“

Die Begeisterung des jungen Bergsteigers hat für mich fast religiöse Dimensionen. Ergriffen wirkt er, wenn er von seinen Erfahrungen erzählt.  Darum wundert es mich auch nicht, dass in der Bibel immer wieder die Berge zum Ort der Gottesbegegnung werden. Auf dem Berg, so lesen wir, erhält Mose die Tafeln mit den Zehn Geboten. Und ein in Bedrängnis geratener Mensch betet: „Ich richte meine Augen hinauf zu den Bergen! Von wo anders soll ich sonst Hilfe erwarten? Meine Hilfe kommt doch von Gott, dem Schöpfer!“ (Psalm 121,1+2)

Die gewaltigen Bergmassive, ihre Schönheit, zugleich aber auch ihre riesigen Ausmaße – sie spiegeln für diesen Menschen die Größe und Erhabenheit Gottes wider. Da nehme ich als Mensch meine eigene bescheidenen Größe wahr. Und ein Gefühl der Ehrfurcht. Das hilft mir auch, wenn ich mich auf den Weg mache, um Gott zu suchen. Ich nehme mir vor, andere auch etwas von dieser Begeisterung spüren zu lassen – so wie der junge Mann. In meinem Glauben muss ich nicht einmal schwindelfrei sein. Es reicht, wenn ich mich darauf verlasse, dass da jemand ist, der mich hält.

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