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SWR2 Zum Feiertag

01JUN2020
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Heike Springhart

"Zum Pfingstmontag" ein Gespräch zwischen dem evangelischen Rundfunkpfarrer Wolf-Dieter Steinmann und Privatdozentin und Pfarrerin Dr. Heike Springhart aus Pforzheim

Steinmann
Ich freue mich, dass ich heute mit Heike Springhart reden kann. Privatdozentin und Pfarrerin. Damit Sie sich nicht wundern. Wir kennen uns so lange, dass wir auch hier im Radio beim Du bleiben.
Heike, es gibt 3 Feste im Jahr, für die ein Tag im Kalender nicht reicht: Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Wenn Du eine persönliche Hierarchie der 3 Feste machen sollst, wie sieht die aus?

Springhart
Das kommt ein bisschen auch die Kriterien an. Also emotional ist es für mich auch Weihnachten. Ostern und Pfingsten in eine Hierarchie zu bringen, finde ich fast unmöglich.
Weil mir theologisch eigentlich Pfingsten am liebsten ist. Aber es ist am wenigsten emotional besetzt. Das liegt vielleicht daran, dass man es als Kind, also Pfingsten nicht feiert. Aber auch - durchaus theologisch - ist mir Ostern mit der Auferweckung aus Tod und dem Wunder nach den Wunden, ist mir das wichtig.
Aber theologisch finde ich eigentlich Pfingsten am reizvollsten. Insofern würde ich sagen: Platz 1 Weihnachten und Ostern und Pfingsten auf Platz 2. (lacht)

Steinmann
Und was sind dann für Dich als Theologin 2-3 Kerngedanken von „Pfingsten“?

Springhart
Also das eine ist, dass der Geist Gottes die Kraft ist, die die Kirche lebendig hält. Und sie aus ihren Mauern und ihrer Komfortzone rausweht und den Blick öffnet für die grenzüberschreitende Kraft Gottes. Also über die Sprach- und die Ländergrenzen hinweg. Und auch über die Grenzen in der Gesellschaft.
Die erste Pfingstpredigt aller Zeiten von Petrus, die bezieht sich ja auch auf die Verheißung, dass der Geist auf alle ausgegossen wird. Die Verheißung von Joel, dem Propheten, und die Idee, dass junge Menschen Visionen haben und alte Menschen wieder Träume. Das finde ich ne ganz wunderbare Vision. Weil sie nämlich gegen die Macht des Faktischen den lebendigen Aufbruch setzt.
Das zweite ist, dass die Welt nicht sich selbst überlassen ist, sondern dass Gott seinen Geist ausgießt, nicht nach dem Gießkannenprinzip, Aber doch wie Regen auf alle.
Und zuletzt ist der Geist Gottes nicht irgendwas, was so rumwabert, sondern der Geist Jesu, das heißt er treibt zu ganz konkretem Einsatz für Gerechtigkeit, für Verantwortung, für den Kampf gegen Rassismus und Sexismus an.

Steinmann
Diese Joelverheißung (Joel 3,1f)ist ja nun was ganz Besonderes.
Wir haben in den letzten paar Jahren immer mal wieder den Generationenkonflikt ausgerufen. „Fridays for Future“, da hieß es, die Jungen beklagen sich darüber, dass ihnen die Alten das Leben wegnehmen, und in der Coronakrise war es anfänglich umgekehrt. Und da wird zwar ein Generationenunterschied gemacht, aber es ist jedenfalls kein Generationenkonflikt.

Springhart
Beides ist in die Zukunft gerichtet. Das eint irgendwie die Perspektive. Also ich verstehe das mit den Träumen wirklich als: ‚Ich träume mir was für meine Zukunft.‘ Und die jungen Menschen, die Visionen schauen – heißt es ja in der Bibel – und da ist das Überraschende doch, dass sie nicht nur für sich individuell Visionen haben von der besseren Welt, sondern dass sie die ja auch zum Ausdruck bringen. Es gibt dann noch die, die prophetisch reden. Dh. Dass junge Menschen ihre Visionen nicht nur haben, sondern dass sie sie zu Gehör bringen. Und das Spektakuläre ist vielleicht, wenn sie gehört werden und dass es eben nicht abgetan wird, dass junge Leute eben immer sich von der Zukunft eine Vorstellung machen.

Steinmann
Und dass es bei den Alten eine Resonanz dafür gibt. Dass diese Visionen, die von den Jungen geäußert werden von den Alten tatsächlich als Traum aufgenommen werden, obwohl sie selbst davon nichts mehr haben werden.

Springhart
Also für mich ist diese Perspektive, dass die Alten Träume haben, eigentlich ein Gegen- bild wie wir jetzt im Moment über die Alten nachdenken. Wir sehen sie jetzt als Risikogruppe und auch sonst sehen wir sie unter der Perspektive des abnehmenden Lebens. Und das trifft aber die Realität des Alters überhaupt nicht. Die Potentiale zu sehen, die da drinstecken, an Kreativität. An Perspektive auf die Wirklichkeit, selbst bei Demenz, da ist diese Idee; ‚Alte haben Träume, die in die Zukunft weisen‘, hat da ihre verheißungsvolle Kraft.

Steinmann
Ich bin ja fest davon überzeugt, dass Theologie eine lebensrelevante Wissenschaft ist. Oder, ein lebensrelevanter Zugang zur Welt.
Begreifen tu ich das oft erst, wenn Theologie in Form von Geschichten erzählt werden kann, die auch Lebenserfahrungen wiederspiegeln. Gibt es solche Lebenserfahrungsgeschichten vom „Geist Gottes“ , die Dir begegnet sind, in jüngster Zeit vielleicht auch ?

Springhart
Die erste, die ist nicht so ‚in jüngster Zeit‘. Aber schon die erste Anfangsgeschichte, die Pfingstgeschichte selber ist so ne Lebensgeschichte, dass aus dieser Anfangsgeschichte der christlichen Gemeinde, die in irgendwelchen Katakomben sich getroffen haben, dass daraus die weltweite Christenheit wurde. Das war ja nun eigentlich nicht zu erwarten. Aber jetzt in jüngerer Zeit:
Grundsätzlich gehört zu den Lebensgeschichten des Geistes, dass es Neuanfänge gibt. Da wo man nicht damit gerechnet hat. Für mich ist so ein sprechendes Beispiel die Auferstehungskirche in Pforzheim und die anderen so genannten Notkirchen in Deutschland. Die nach dem Krieg aus den Trümmern gebaut wurden. Wenn mir hier – inzwischen betagte Menschen – mit leuchtenden Augen erzählen, dass sie als Konfirmanden 1947/48 die Steine hoch geschleppt haben und sauber geschrubbt haben, und ich merke wieviel denen dieses Gebäude und die Kirche, für die dieses Gebäude steht, bedeutet. Dann hat das für mich sehr viel mit einer Lebensgeschichte des Geistes Gottes zu tun.
Oder die Konfirmandin, die mir schreibt: ‚ich bin jetzt eigentlich nicht so traurig, dass keine Konfirmation war, weil da kann ich noch länger in Konfi-Unterricht gehen. Und ich freu mich mega auf meine Konfirmation.‘
Eine Konfirmandin, die sich im Februar hat taufen lassen. Wenn da nicht der Geist Gottes am Werk ist, weiß ich nicht. Also irgendetwas ist bei ihr angerührt. Das sind Lebensgeschichten Gottes, des Geistes.

Steinmann
„Der Geist wird euch auch helfen, die Wahrheit zu verstehen“. Steht auch in der Bibel.
Wenn wir das mal auf die gegenwärtige Krise beziehen. Hat die auch eine Wahrheit, in die uns der Geist Gottes hineinführt und etwas daraus erkennen lässt?

Springhart
Also ich würde mal vorwegsagen, dass ich es wichtig finde, Wahrheit und Sinn zu unterscheiden. Weil in der Frage könnte man so auf die Idee kommen, die ich für falsch halte, „OK, Krise als Chance. Wir haben jetzt hier die Chance, uns völlig neu zu betrachten und deswegen reden wir uns diese Krise schön. Das finde ich deswegen falsch, weil es das Leid übergeht. Für die die an der Krankheit erkranken, für die die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen usw. Falsch fände ich auch, Corona als Strafe Gottes zu verstehen.
Aber was ist es denn? Welche Wahrheit könnte drinstecken.
Ich finde, die Wahrheit, die drinsteckt, dass sie den Blick dafür schärft, dass es zum Menschsein gehört, verwundbar zu sein. Und zwar für alle.
Im Moment ist so viel davon die Rede, dass es die vulnerablen Gruppen gibt, also die Alten und die chronisch Kranken, die besonders schutzbedürftig sind. Es klingt immer ein bisschen so, als wären nur die verwundbar. Was uns gesellschaftlich jetzt eigentlich schockiert oder trifft, ist die Erkenntnis: wir sind es alle und wir können die nicht aussortieren.
Das ist ne Wahrheit, die nicht erst seit Corona gilt, die sich aber jetzt aufdrängt, darüber nachzudenken und ernst zu nehmen.
Ne andere theologische Wahrheit liegt für mich darin, Krankheit und Tod in ihren bedrängenden Dimensionen ernst zu nehmen. Das ist eigentlich ein Grundmoment des christlichen Glaubens. Wir reden deswegen von Neuschöpfung und Auferstehung, weil wir von Krankheit und Tod bedrängt sind.
Und zuletzt ist mir schon auch wichtig, dass die globale Dimension, die sich mit dieser Pandemie verbindet, eben auch hilft zu sehen: so schwierig die Situation bei uns ist, sie ist eben nicht zu vergleichen damit was Covid19 für die Menschen in den südafrikanischen Townships und in den Flüchtlingslagern der griechischen Inseln bedeutet. Also den weiten Blick. Die Wahrheit bedeutet: es reicht nicht, um sich selber zu kreisen.

Steinmann
Sagt ja auch die Theologie des Geistes oder die Zeugnisse, die Texte in der Bibel, dass eine Wirkung des Geistes ist, dass man sich um die Schwachen kümmert, dass die Schwachen unter dem besonderen Schutz des lebendigen Gottes stehen. An wen sollten Christen besonders denken?

Springhart
Da denk ich, wenn wir jetzt weltweit gucken an die schon genannten in den Townships und Slums auf der südlichen Halbkugel. Aber ich denke auch an die Menschen in China und Hongkong, die nicht nur von dem Virus in besonderer Weise getroffen sind und waren, sondern auch von Meinungs- und Pressefreiheit, die beschnitten ist, in diesen Ländern. Ich denke aber auch an die Kinder und Frauen bei uns, die in besonderer Weise von sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen sind. Ich denke, das ist ein großes Problem, was sich mit dieser Situation verbindet. Und die Flüchtlinge vor den Toren Europas. In Morija und anderswo.

Steinmann
Letzte Frage: Pfingsten erinnert daran, dass der Geist Gottes überall lebendig ist.
Du hast Beziehungen in alle Welt. Wenn es ginge, wo würdest Du heute gern Pfingsten feiern, mit wem von diesen Freunden und Kolleg*innen?
Es geht ja nun nicht. Wirst Du dich trotzdem mit ihnen verbinden?

Springhart
Also eigentlich wäre ich morgen nach Tel Aviv geflogen. Da werde ich sicher dran denken, auch ein bisschen schmerzlich. Aber die intensivsten persönlichen Beziehungen habe ich nach Chicago. Also wenn ich es mir aussuchen könnte, dann würde ich in Chicago feiern. Und mit denen werde ich sicher auch Kontakt haben. Meine Gedanken gehen aber sicher auch nach Südafrika, wo ich Freunde und Kollegen habe. Wo die Situation gerade richtig schwierig ist.

Steinmann
Was ist das Besondere an der Situation in Südafrika?

Springhart
In den Townships ist es eben viel schwieriger in den Griff zu kriegen, weil da einfach nicht möglich ist, sich sozial zu distanzieren. Ich denke, das Virus insgesamt, wenn es in Südafrika und auf dem afrikanischen Kontinent sich ausbreitet, sind einfach die Möglichkeiten, einzugreifen, sehr viel kleiner. Was für die USA gilt, dass die sozialen Spannungen deutlich werden, das wird natürlich in so einem zerrissenen Land wie Südafrika, noch deutlich verschärfter zu sehen sein.

Steinmann
Siehst Du eine Möglichkeit, dass wir von hier aus, auch etwas tun könnten?

Springhart
Was Corona angeht bin ich da skeptisch. Ich denke, Südafrika und die Länder der südlichen Halbkugel sind uns insgesamt aufgegeben. In unserer Art, uns mit Lebensmitteln zu versorgen, mit Rohstoffen, mit Kleidern. Und da jetzt nicht auch das Unsere noch beizutragen, dass die Ärmsten der Armen dann auch unter unwürdigen Bedingungen leben. Und die Kontakte zu halten.

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SWR4 Sonntagsgedanken

12MAI2008
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Die Feiertagsgedanken sind heute, am Pfingstmontag in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz von verschiedenen Autoren: In Rheinland-Pfalz spricht Dr. Thomas Weißer.


Der Pfingstgeist lässt die Menschen eine gemeinsame Sprache finden

Teil 1

Pfingsten ist ein Ausflugsfest, zumal der Pfingstmontag. Viele Länder haben diesen zweiten Feiertag nicht, genau so wenig wie den Ostermontag oder den zweiten Weihnachtstag. Verständlich, dass es immer wieder Versuche gibt, den zweiten Feiertag abzuschaffen. Ich bin froh, dass wir ihn haben. Denn so lassen mich diese Feste spüren, dass es um etwas Besonderes geht.
Von allen drei Festen Weihnachten, Ostern und Pfingsten ist gerade Pfingsten jenes Fest, das vielen Menschen am wenigsten sagt. Dabei hat dieses Fest eine Botschaft, die lebensnotwendig ist für unsere Welt. Es geht um den Geist Gottes, der alle Menschen erfassen will, egal, welche Hautfarbe sie haben oder von welcher Rasse sie abstammen. Dieser Geist will alle Völker verbinden durch eine Sprache, die jeder versteht und die jeder braucht: die Sprache der Liebe.
Der Evangelist Lukas schildert mit einem farbigen Bild, wie an Pfingsten dieser Geist über die Gemeinde in Jerusalem kommt. Danach kommt er auf die ersten Jüngerinnen und Jünger Jesu in Form von Feuerzungen. Die Zunge befähigt zum Sprechen, das Feuer ergreift alles und verwandelt es in Energie. Wo Menschen sich vom diesem Pfingstgeist umtreiben lassen, dort finden sie jene Sprache, die zum Herzen des andern Menschen dringt, gerade dann, wenn er mir fremd oder unnahbar scheint.
Wenn der Pfingstgeist das Sagen hat, dann finden die Menschen trotz unterschiedlicher Sprache eine gemeinsame Mitte. Das hat damals die junge Christengemeinde so attraktiv gemacht, dass sie sich im ganzen Römischen Reich ausbreiten konnten. Das ist auch heute attraktiv, wenn man sieht: Bei diesen Christen herrscht ein Geist der Liebe, wo man einander zu verstehen sucht, auch wenn verschiedene Ansichten da sind. Da drückt nicht einer seine Meinung rücksichtslos durch, da lässt man verschiedene Meinungen gelten und ringt sich – wenn nötig – zu einem Kompromiss durch, mit dem alle leben können.

Teil 2

Pfingsten – dazu gibt es in der Bibel eine Kontrastgeschichte: die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Dort haben die Menschen eine gemeinsame Sprache gesprochen, aber am Ende verstehen sie einander nicht mehr. Warum? Sie demonstrieren ihre Macht, sie wollen sein wie Gott und bauen deshalb – so die Geschichte – einen Turm, dessen Spitze bis zum Himmel reicht. Am Ende stürzt der Turm ein und keiner versteht mehr den andern.
Wenn Menschen nur ihre Macht sehen und die Größten sein wollen, steht am Ende das Chaos. Anders die Pfingstgeschichte. Dort sprechen die Menschen verschiedene Sprachen und verstehen sich doch. Warum? Weil sie der eine Geist verbindet: die Liebe.
Wir Menschen haben die Wahl zwischen dem Turmbau zu Babel und dem Pfingstgeist. Eine Konferenz verschiedener Staaten scheitert, wenn jeder nur für sich was herausholen will. Wenn alle sich auf eine Sprache verständigen, die das persönliche Wohl mit dem der andern verknüpft, dann haben alle gewonnen.
Das klingt banal, aber genau das will der Pfingstgeist: dass jeder sein Wohl mit dem der andern verbindet. Das Bild von den Feuerzungen, die auf die Gemeinde Jesu herabkamen, will nicht bloß ein äußerliches Brennen signalisieren, es will eine innere Glut entzünden. Sie kann dann Menschen, die verschieden sind, bereichern; jeder entdeckt den Wert des Andern und freut sich an der Vielfalt der Gaben und Fähigkeiten. Das vermag der Pfingstgeist, weil er ein Geist der Liebe ist. Liebe lässt den Andern gelten wie er ist und freut sich an seiner Begabung.
Als Student fand ich im Bonner Südfriedhof einen Grabstein, auf dem stand geschrieben: „Der Pfingsttag kennt keinen Abend, denn seine Sonne, die Liebe, kennt keinen Untergang.“
Mich hat dieser Spruch bewegt, weil er etwas sehr Schönes sagt: Die Liebe, die der Pfingstgeist ausdrückt, ist eine Kraft, die selbst den Tod überdauert. Der Tod ist die schlimmste Herausforderung des Menschen. Er scheint alles zunichte zu machen. Wenn darum eine Ehepartnerin ihren Partner beerdigen muss und diesen Spruch auf den Grabstein schreiben kann, dann kommt zum Ausdruck, dass die Liebe tatsächlich stärker ist als der Tod.
Diesen Geist der Liebe brauchen wir in allen Situationen des Lebens, in den familiären wie den beruflichen, im Freundeskreis wie in der Kirche oder im Verein, im sozialen wie im politischen Umfeld. Wir sind eingeladen, uns in diesem Geist zu verständigen und einen gemeinsamen Weg zu suchen.
Ich wünsche Ihnen, liebe Hörerinnen und Hören, diesen pfingstlichen Geist der Liebe.






Dr. Thomas Weißer, Mainz, Katholische Kirche


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Frischer Wind

Teil 1

Windräder faszinieren mich. Oft stehen sie oben auf einem Berg. Sie sind überall zu sehen. Von weitem wirken sie filigran, von nahem aber gewaltig. Am Fuß eines Windrades fühle ich mich winzig. Und der scharfe Wind oben auf einem Berg treibt einen schnell wieder nach unten. Doch das Windrad bleibt stehen, dreht sich im und mit dem Wind. Macht aus den gewaltigen Kräften Strom.
Windräder: Sie stehen dort, wo ein frischer Wind weht. Windräder machen selbst keinen Wind, aber sie lassen sich vom Wind ansprechen, in Gang bringen.
An die Windräder muss ich denken, wenn ich die Pfingstgeschichte höre. Denn Pfingsten ist das Fest des frischen Windes. Man muss sich da so vorstellen: Da hocken die Freunde Jesu noch Wochen nach seinem Tod in den Häusern. Sicher: sie beten, sie reden miteinander. Aber heiter oder motiviert wirken die Anhänger Jesu nicht. Immer noch liegt die Frage in der Luft: Wie geht es nach dem Tod Jesu weiter? Und dann, so heißt es in der Pfingstgeschichte, erfüllt ein Sturm das Haus. Treibt die Jünger an. Wie Windräder.
Die Jünger merken an Pfingsten offensichtlich, dass etwas in der Luft liegt. Dass der Geist Gottes in der Luft liegt. Das ist ein neuer Geist, ein lebendiger Geist. Es gibt ja Leute, die merken, wenn ein Sturm aufzieht. Ich stelle mir die Jünger an Pfingsten genau so vor. Sie verstehen: Es geht nicht, an diesen Gott zu glauben und dann im Wohnzimmer hocken zu bleiben. Pfingsten ist das Fest der Leute, die wissen, was in der Luft liegt. Die merken, dass eine besondere Energie, eine geistige Energie in der Luft liegt.
Der Sturm, der Wind ist für mich eine gute Übersetzung für den Geist Gottes, für die lebendige Kraft Gottes. Wer glaubt, der muss aufstehen, sich von Gott bewegen lassen, wie der Wind ein Windrad in Gang setzt. Und daraus neue Energie gewinnen. Lebensenergie. Energie, die andere leben lässt. Das haben die Jünger auch gemacht. Sind aufgestanden, rausgegangen aus dem Haus, waren angetrieben, haben von ihrem Glauben erzählt. Und haben damit anderen Kraft gegeben. Eine Kraft, die bis heute Menschen antreibt. In ihrem ganz konkreten Alltag. Als Mutter mit drei Kindern, als Altenpfleger, als Lehrerin, als Referent, als Maschinenbauer oder Schreiner. Die Freunde Jesu leben vor, was das heißt: Offen sein für frischen Wind, für den Geist Gottes.

Teil 2

Vor ein paar Jahren war ich in den Sommerferien an der Nordsee. Ich erinnere mich noch genau an einen Abend. Es war ein strahlend schöner Tag gewesen. Jetzt aber ballten sich die Wolken über dem Meer. Der Himmel wurde dunkel. So ein tintendunkler Himmel, wie es ihn nur im Sommer gibt. Und dann setzte der Wind ein. Ich bin noch mal rausgegangen. Auf den Deich. Und habe mich vom Wind durchpusten lassen. Alles rausblasen lassen, was mich beschäftigt hat.
Ich kann sonst schlecht abschalten. Meinen Kopf ausschalten. Oft verfolgt mich der Tag bis in die Träume. Und morgens wache ich auf und schon prasselt alles auf mich ein, was ich heute noch erledigen muss oder will. Aber an diesem Abend an der Nordsee, da war mein Kopf wirklich leer. Wie ausgekehrt mit einem großen Besen. Und mehr noch: Der Sturm sorgte für fantastische Weitsicht. Plötzlich war das Diesige verschwunden. Alles war klar und deutlich zu sehen. An der Küste entlang und weit aufs Meer hinaus.
An Pfingsten passiert etwas ähnliches. Pfingsten erzählt, wie sich Menschen den Kopf durchpusten lassen. Und dadurch neu und weiter sehen können. Pfingsten fängt im Dunkel, in der Trauer an. Die Freunde Jesu hatten sich lange verkrochen, in ihre Häuser, ihre Geschichten. Trauern dem toten Jesus hinterher. Sie hocken zusammen, wochenlang. Ich stelle mir vor, wie ihre Gespräche immer wieder um das Gleiche kreisen. Um den Tod Jesu. Und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Geschweige denn ein Neuanfang. Alles erscheint sinnlos.
Und dann kommt dieser Wind, ein heftiger Wind, der sie auf die Straße treibt. Eben saßen sie noch im Haus, jetzt aber stehen alle unter einem freiem Himmel. Sie kriegen wieder Weitsicht, können weit sehen, sind nicht mehr in sich selbst, in ihr Haus verschlossen. Petrus hält sogar eine Rede. Muss weitersagen, was ihn bewegt. Die eine Idee: Gott ist bei den Menschen, hält zu Ihnen.
Der Wind hat reinigende Kraft an Pfingsten. Er bläst die Trauer weg. Manchmal glaube ich, dass uns das heute fehlt: So ein reinigender Orkan, ein Wind, der mir gewaltig den Kopf auspustet. Ein Sturm, der aber auch durch die manchmal so erstarrten Rituale unsere Lebens, der Gesellschaft, der Politik fegt. Der die bleierne Schwere wegnimmt. Der an den scheinbar unverrückbaren Grundmauern, den Fundamenten unseres Lebens rüttelt. Und zwingt, genau zu sehen, auf welchem Grund ich mein Leben gebaut habe. Was mich wirklich trägt.
Das erfahren die Freunde Jesu. Sie verstehen, angetrieben durch den Wind, dass der Tod und die Trauer nicht das letzte Wort haben. Sie verstehen, dass sie selbst etwas tun müssen. Ich glaube, dass der Pfingstwind heute auch bläst. Und dass es an mir ist, mich von ihm erfassen zu lassen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3526
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SWR1 Begegnungen

19MAI2024
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Thorsten Dietz

Wolf-Dieter Steinmann trifft Prof Thorsten Dietz.
Der evangelische Theologe ist medial kreativ. Als Autor, Podcaster und
in Videos inspiriert er zum Denken und Glauben. Seit August 2022 am
"Fokus Theologie" im „REF(ormierten)-LAB(oratorium)“ in Zürich.

Das Christentum ist alt geworden. Hat er auch mal gedacht. Inzwischen hält er es für möglich, dass es seine Zukunft noch vor sich hat. Und das hat für Thorsten Dietz viel mit seinem ‚persönlichen‘ Pfingsten zu tun. Mit der Lebensenergie, die ihn angesprungen hat, als er Bibel gelesen hat. Erst distanziert, wie ein Zuschauer auf den hinteren
Plätzen. Aber dann:

Ich war völlig verstört, aber auch zunehmend ergriffen, mit welcher Leidenschaft in der Bibel gelebt wird. Und habe gelernt, mir zuzugestehen: Ich brauche so etwas eigentlich auch. Dieses ‚Gott hat mich lieb, sieht mich, hört mir zu.‘ Das war eine Lebenswende. Diese Geborgenheit, bei einem DU zu finden, was ich nicht beweisen und begründen kann. Was ich aber spüre, wenn ich mich dafür öffne.

Da war er schon erwachsen, als er Christ geworden ist. Zuvor Atheist. Heute mit gut 50 ist er überzeugt. In Pfingsten steckt ein großer Traum für Menschheit und Erde.

Dieser Traum eines gemeinsamen Lebens, wo diese ganzen Mauern niedergebrochen werden; die von ‚drinnen und draußen‘ und die von ‚oben und unten‘ und wir gemeinsam verbunden werden durch etwas, was uns heilig ist.

In der Bibel wird erzählt, wie Menschen das vor 2000 Jahren erlebt haben: Jesu Traum von einer besseren Welt schien am Kreuz gestorben. Dann haben einzelne gesagt: Jesus sei nicht tot, Gott habe ihn und seinen Traum neu zum Leben erweckt.

Dann machten sie gemeinsam die Erfahrung wie sie das begeistert, wie es sie ergreift und wie es sie zusammenfügt. Und sie haben dann gesagt: ‚Es war das Gefühl, als hätte Gott uns erfüllt mit seinem Geist, mit Mut, mit Kraft, mit Freude‘.

‚Heiliger Geist‘. Thorsten Dietz weiß, das klingt speziell. Aber der ist nicht nur für Religiöse. Im Gegenteil. Geist ist Lebenskraft in allem.

Grade im Alten Testament wird uns Geist, ruach, Windhauch, Geistkraft gezeigt als etwas ungeheuer Dynamisches, was jedem Lebewesen innewohnt, im Atem.

Darum ist für ihn klar: Kirchen und Christenmenschen haben diese Kraft nicht für sich.

Wir werden ab und an freundlich ergriffen und berührt und dürfen staunen und können versuchen, davon etwas zu sagen, in Predigt und Theologie. Das ist es dann aber auch. Er gehört allen.

Es entspricht Gottes Geist auch nicht, wenn wir Menschen uns abgrenzen in „wir drinnen- die draußen“. An Pfingsten sollte man  diesen Traum feiern. Indem soziale Grenzen durchlässig werden, wir Fremde erkennen, unser Wirgefühl weiten.

Wo wir vielleicht lieber denken sollten an Freundinnen und Freunde, an Gemeinschaften, an Netzwerke. es wäre das Freundschaftsfest schlechthin. Geistkraft Gottes ist sehr eventfreundlich und das sollten wir feiern. Gott ist nicht nur auf Familien programmiert.

Pfingsten berührt Thorsten Dietz tief innen. Und lässt weit denken und
neu glauben.

 

Thorsten Dietz war Atheist, dann eine Lebenswende, Pfarrer im Ruhrgebiet. Professor. Heute mit gut 50 bringt er Christliches kreativ in soziale Medien. Er mag Pfingsten. Weil Gottes Geistkraft in allem Leben ist und es an vielen Orten bewegt in eine bessere Richtung. Sie wirkt frei und unverfügbar. Schafft Neues, verändert. Und das tut ja not, bei den Gegenkräften.

Wo Leben aufsteht gegen den Tod, wo Menschen Gemeinschaft knüpfen gegen Vereinsamung, wo Menschen Ungerechtigkeit entgegen treten, weil sie sagen: ‚das tötet, das engt ein, das wollen wir nicht mehr.‘ Und dafür den Sinn zu wecken, möglicherweise ist das nicht etwas, was wir uns wünschen, möglicherweise rührt sich in uns das Geheimnis des Lebens selbst.“

Und diese Kraft berührt auch ganz persönlich. Lange hat er nur „der Heilige Geist“ gesagt. Bis er begriffen hat, für viele Frauen ist das anstößig. Und dass man Gott auch sprachlich nicht einsperren kann.

Ich möchte lernen, neue Worte zu finden, für alte Erfahrungen, die mir lieb und vertraut sind. Aber auch denen neue Seiten abgewinnen, die ich mit anderen Menschen teilen kann. Ich finde, auch das ist Gottes Geistkraft, den Mut, die Offenheit zu finden, Neues zu wagen und zu entdecken.

Aus feministischer Theologie berührt und bewegt ihn Gottes Geistkraft und er findet auch: 2000 Jahre Männerkirche sind genug.

Wo Frauen aufbegehren: Er ist nicht festzulegen auf ein Geschlecht. Wir lassen uns auch Gott und Glaube nicht stehlen und wir akzeptieren nicht, dass wir nicht zählen.‘ Ich lasse mich davon auch gern anstecken. Das tut mir gut.

Es ist ein Geschenk, wenn man sich immer noch ergreifen lassen kann. Auch wenn man älter ist. Ich spüre Feuer und Begeisterung bei ihm.
In unseren Kirchen fehlen ihm die oft. Wir sind ‚hüftsteif‘ geworden,‘ sagt er. Mehr Leben, mehr Geist. Christsein mit dem ganzen Körper, mehr Pfingsten. Musik kann dazu helfen und der spirit von beweglicheren Christenmenschen
zB. aus Afrika.

Die Menschen sind nicht hüftsteif, sie tanzen, sie singen. Sie umarmen einander, sie lassen sich ergreifen und berühren sich gegenseitig. Wir können uns davon inspirieren lassen.
Und ich glaube, Musik ist eine Kernsprache des Göttlichen. Wo wir uns der Musik öffnen, mitschwingen, so in Resonanz versetzen lassen. Ist immer ein guter Anfang.

Thorsten Dietz ist sicher, immer wenn ich spüre, ich bin Teil des großen Lebens auf unserer Welt. Das sind heilige Momente. In diese Richtung wünscht er Ihnen und mir noch viel Pfingstliches, heute und überhaupt.

Möge jeder etwas finden, was ihn berührt und ergreift. Und man kann an so einem Tag ja mal überlegen, ob das stimmt, was viele denken, dass sie das Christentum hinter sich haben. Vielleicht haben sie es auch noch vor sich.

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SWR3 Worte

19MAI2024
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Was bedeutet eigentlich „Heiliger Geist“? Mit Gespenstern hat es jedenfalls überhaupt nichts zu tun sagt der evangelische Pfarrer Gerd Liebenehm-Degenhard. Er sagt:

Unser deutsches Wort [Geist] ist (…) leider völlig irreführend. Im [hebräischen] Original bedeutet das Wort so viel wie „Atem“ oder „Wind“! Es geht um Lebenskraft und Energie, um Inspiration, um Begabungen und Talente.

Also um etwas, das uns Menschen stärkt, in Bewegung [bringt] oder auch mal produktiv durcheinanderbringt.

[An] Pfingsten feiern wir, dass Gott uns diese Kraft schenkt, so wie er uns unseren Atem schenkt. Auch auf diese Weise ist Gott bei uns und in uns. Die „Geistkraft“ ist also nicht etwas Abstraktes und schwer Vorstellbares, sondern etwas Leibliches und Konkretes.

Quelle:

Atem holen statt Gespenst: Wie kann man mit Kindern über Pfingsten reden? Interview mit Gerd Liebenehm-Degenhard online auf:

https://www.religionsunterricht-in-niedersachsen.de – Atem holen statt Gespenst: Wie kann man mit Kindern über Pfingsten reden?

Die Fragen stellte Michael Veit-Engelmann im Auftrag des RPI Loccum

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39956
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Nächsten Sonntag ist Pfingsten. Das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes.
Als Kind habe ich mich an Pfingsten immer auf die Kirche gefreut, doch tatsächlich, weil es nämlich meistens etwas zu Lachen gab.
Sonst ja nicht so oft.
Aber an Pfingsten, da gab es eine eingebaute Unterhaltungsgarantie.
Denn die Pfingstgeschichte ist ein echter Zungenbrecher. Beim Verlesen der Apostelgeschichte Kapitel 2. kann, ja muss man sich so herrlich die Zunge verknüppeln.
Und da es ohne die schöne Geschichte nicht geht, ist meine Spannung immer groß gewesen.
Gefragt habe ich mich dann immer nur, an welcher Stelle es diesmal passieren wird, beim Verlesen der ganzen Völker und Rassen, die da in Jerusalem zusammen waren, als die große Begeisterung ausbrach. Aus aller Herren Länder waren sie ja zusammen:
die Parther und Meder und Elamiter, die aus Mesopotamien und Kappadozien, sogar aus Phrygien und Pamphylien!
Spätestens bei denen aus Pamphylien kam dann meistens auch der Versprecher. Da konnte man sicher sein.
Und wenn es dann endlich passiert war und sich der oder die Leser endlich verhaspelt hatten, dann gab es so ein menschliches, schön verschmitztes Schmunzeln.
Pfingsten ist komplett kompliziert mit all diesen Völkern und Nationen, die da dabei sind.
Sagenhaft, sogar Leute aus Rom sollen dort gewesen sein, Kreter und Araber natürlich, als der Geist kam.
Wortakrobatik an Pfingsten, weil alle dabei sind und dazu gehören.
Da mischt sich alles, da kommt sich alles Fremde ganz nah, da wird die Verständigung schwer.
Bis heute ist das so:
Was Fremd ist, das befremdet.
Und doch kann es gut gehen wie an Pfingsten.
An Pfingsten in Jerusalem, da wird die Verschiedenheit nicht abgeschafft, sondern gestärkt, gewürdigt, mit Begeisterung wahrgenommen.
Da versteht nämlich Jedermann und jede Frau dass Gott für alle da ist, weil man es nicht in einer Fremdsprache, sondern in seiner Muttersprache hört.
So gehört sich das.
Geistreich ist, dem Volk aufs Maul zu schauen!
Nur dann geht Pfingsten. Nur dann geht Pfingsten gut aus.
Wird niemand ausgegrenzt.
Gottes Geist verbindet alle, er ist der wahre Globalisierer, der ganze Globus ist sein Sendegebiet, die ganze Welt liegt auf seiner Wellenlänge. Davon kann man sich ruhig viel versprechen!

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SWR4 Abendgedanken BW

Nicht einmal mehr jeder zweite Deutsche weiß, warum Pfingstsonntag und Pfingstmontag überhaupt Feiertage sind. Und wissen, heißt ja noch lange nicht glauben. Aber was gibt es denn an Pfingsten zu glauben?

Die Bibel erzählt darüber eine dramatische und etwas wunderliche Geschichte. Sie erzählt von einem gewaltigen Sturm, tanzenden Feuerzungen und von Menschen, die Gottes Geist in ihre Herzen ließen und anfingen vor Freude in allen Sprachen zu sprechen. Kein Wunder, dass die unbeteiligten Zuschauer damals sich fragten, was das denn bloß bedeuten sollte; kein Wunder, dass einige annahmen, die Begeisterten hätten einfach zu viel Wein getrunken. Aber dennoch - viele der Zuschauer blieben nicht unbeteiligt; viele ließen sich anstecken von der Begeisterung.

Die brachen natürlich nicht alle in Freudentaumel aus und sprachen auf einmal in tausend Sprachen. Die Begeisterung war nicht bei allen so spektakulär, aber genauso wirkungsvoll. Wer vorher Einsamkeit in seinem Herzen spürte, fühlte sich auf einmal getröstet. Wer vorher mit seinem Leben haderte, fühlte sich auf einmal getragen. Wer vorher mutlos war, fühlte sich gestärkt. Aber wie auch immer die Wirkung war - alle, die sich anstecken ließen, spürten auf einmal den Geist Gottes in ihren Herzen und wurden verändert. Und genau darum geht es an Pfingsten.

Pfingsten gilt als Geburtsstunde der christlichen Kirche. Aber Pfingsten ist mehr als das: denn an Pfingsten beginnt unsere ganz persönliche Geschichte mit Gott. Meine und vielleicht ja auch Ihre! Wenn Sie glauben, dass es eine höhere Macht gibt, die unser Leben in der Hand hält; wenn Sie glauben, dass Gott etwas mit Ihnen vor hat; wenn Sie glauben, dass Gott in Ihnen wirkt, dann haben auch Sie sich anstecken lassen von Pfingsten, dann haben auch Sie den Geist Gottes in Ihr Herz gelassen.

Und dann beginnt an Pfingsten Ihre ganz persönliche Geschichte mit Gott. Wie die aussehen kann? Das können nur Sie beantworten, denn Gottes Geist wirkt wie er will - in jedem Herzen auf ganz besondere Weise und immer wieder anders: er tröstet in der Verzweiflung; er stärkt, wenn wir uns schwach fühlen; er zeigt uns den Weg, wenn wir nicht weiter wissen; er muntert uns auf, wenn wir verzweifelt sind; er rüttelt uns auf, wenn wir uns verrannt haben.

Eigentlich schade, dass viele Menschen nicht mehr wissen, was Pfingsten ist. Denn Pfingsten ist das Fest, das uns am meisten angeht; das Fest, an dem Gott uns am engsten berührt - mit seinem Geist, der in uns wirken möchte - auf tausend verschiedene Weisen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8299
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SWR2 Wort zum Sonntag

Pfingsten ist anders. Während Weihnachten und Ostern ein buntes Brauchtum um sich herum entwickelt haben, angeführt vom Weihnachtsmann und vom Osterhasen, wirkt das Pfingstfest eher nüchtern.

Vermutlich hatte schon Johann Wolfgang von Goethe ein Verständnisproblem und hat aus Pfingsten „das liebliche Fest“ gemacht, an dem Feld und Wald wieder grünen, die Vögel ihr fröhliches Lied erklingen lassen und Himmel und Erde heiter glänzen.

Dabei ist Pfingsten alles andere als ein nüchternes Fest. Den Menschen, die das erste Pfingstfest damals in Jerusalem erleben, vergeht bei ihrer Zusammenkunft Hören und Sehen. Sie werden Zeugen eines gewaltigen Brausens, so berichtet es die Apostelgeschichte.
Was geschieht, erinnert an den Schöpfungshymnus am Anfang der Bibel. Damals schwebt der Geist Gottes auf dem Wasser und lässt aus der Erde, die wüst und leer war, einen geordneten Lebensraum entstehen. Aus Chaos wurde Kosmos, aus Finsternis Licht.
An diese Erinnerung knüpft Pfingsten an: es ist die Wiederbegegnung und die Wie-derbelebung mit dem Geist Gottes. Aus dem chaotischen Gemenge zusammen gewürfelter Menschen wird eine Gemeinschaft Aus dem babylonischen Sprachgewirr wächst Verständnis füreinander. Herkunft und Hautfarbe, Alter und Geschlecht, Sprachen und Dialekte verlieren ihre Bedeutung.

Nicht allein also, dass an Pfingsten die Natur erwacht. Es erwachen vor allem die Menschen. Der Geist Gottes beendet alle Nüchternheit. Er fährt hinein in das trockene Stroh enttäuschter Hoffnungen und leerer Worte. Und entzündet sie zu einer neuen Vision. Nach den Karfreitagserfahrungen von Verlust und Zerstreuung bekommen die Menschen ihre Träume zurück.

Pfingsten heute: Ein Fest gegen die Nüchternheit. Gegen die trockene Bilanzierung des Lebens, bei der nur zählt, was in Zahlen ausgedrückt werden kann. Ein Fest gegen Apathie und Interesselosigkeit. Gegen die Grauzonen, wo sich Helles und Dunkles vermischen, weil ja sowieso alles egal ist.

Pfingsten ist geistvoller Widerspruch! Martin Luther hat in einem Pfingstlied in wun-derbarer Vermählung von theologischer Weisheit und poetischer Ausdruckskraft den an Pfingsten wirkenden heiligen Geist „ein lebend Brunn, Lieb’ und Feuer“ genannt.
Der Brunnen – das ist der Schöpfergott, aus dessen Händen die Welt ans Licht gehoben wird, so wie eine Hebamme das neugeborene Kind ans Licht hebt.
Die Liebe, das ist Geist auf der Beziehungsebene! Geist Gottes als das Liebesband, das Menschen zusammenbringt. Als Emotion, mit der wir aus uns herausgehen. Als Netz, das Beziehungen erstellt und erhält.

Schließlich: der Geist als Feuer! In alten Bibeln wird die Pfingstbegeisterung als Feuerflamme - schwebend über dem Haupt der Christen- dargestellt. Als Symbol für die von Christus angefachte neue Bewegung des Glaubens.

Zugleich gilt: diesen Geist haben wir nicht, so sachlich und nüchtern wie wir uns in dieser Welt eingerichtet haben. Es hat darum einen tiefen Sinn, wenn wir am An-fang eines jeden Gottesdienstes unsere leeren Hände ausstrecken und darum bit-ten: „Komm, heiliger Geist!“
Das soll klar machen, wir haben keine Verfügungsmacht über den Antrieb unseres Lebens. Sondern sind Wartende, Hoffende, Eingeladene.
Eingeladen an den Tisch der Sehnsucht, von dem der Romantiker Novalis schrieb:

„Hätten die Nüchternen / Einmal gekostet, / Alles verließen sie, / Und setzten sich zu uns / An den Tisch der Sehnsucht, / Der nie leer wird.“

Der Tisch der Sehnsucht ist an Pfingsten reichlich gedeckt. Mit frischem Schwung und gutem Geist! https://www.kirche-im-swr.de/?m=6106
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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04JUN2022
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Morgen ist Pfingsten. Ein Fest der christlichen Kirchen, das neben Weihnachten und Ostern eher ein Schattendasein führt. Was hat es mit diesem Fest auf sich? Und warum wäre es schade, wenn es nur noch als wunderbar langes Wochenende verbucht wird?

Für mich ist das Faszinierende an diesem Fest, dass es vor gut 2000 Jahren einen Wendepunkt markiert hat. Nach dem Tod Jesu am Kreuz hatten sich seine Jünger und Jüngerinnen eher wieder ins Private zurückgezogen. Vielleicht aus Furcht, dass auch ihr Leben nicht mehr so sicher sein könnte, vielleicht, weil sie der Botschaft von der Auferstehung ihres Meisters doch nicht getraut haben, vielleicht aus purer Bequemlichkeit. Fest steht aber, dass sie an diesem Pfingstfest eine Erfahrung gemacht haben müssen, die sie vollkommen verändert hat. Was ist passiert? So genau weiß man es nicht. Es ist von einem Sturm die Rede und von Feuerzungen an diesem Pfingsttag. Das Resultat jedenfalls war: Die Jünger haben sich wieder hinaus in die Öffentlichkeit getraut und das Verstummt-Sein hatte ein Ende. Die Bibel spricht vom Heiligen Geist, der auf sie herabkam. Der hat bewirkt, dass sie keine Angst mehr hatten. Und die Zusage Jesu, sie nicht als Waisen zurückzulassen, ihnen einen Beistand an die Seite zu stellen, die hat sich tatsächlich erfüllt. Dieser Beistand hat viele Namen: Heiliger Geist, Tröster, Schöpfer Geist, Atem Gottes. Etwas von diesem Beistand und seiner Kraft müssen sie gespürt haben.

Der Theologe Fridolin Stier hat diesen Beistand mit „Mutbringer“ übersetzt. Das gefällt mir und bringt auf den Punkt, worum es an Pfingsten geht: seid mutig, haltet zusammen, geht hinaus und werdet nicht müde, von diesem Jesus von Nazareth und seinem menschenfreundlichen Gott zu erzählen.

Übertragen auf heute heißt es für mich: Seid mutig, verschanzt euch nicht hinter Floskeln wie: „Da kann man eh nichts ändern“. Haltet zusammen, tut, was in eurer Macht steht und werdet nicht müde, an einer besseren Welt zu arbeiten. Das ist für mich die Botschaft von Pfingsten. In diesem Fest steckt Energie, Lebensenergie und die Zusage, dass dieser Mutbringer auch heute noch am Werk ist.

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SWR4 Sonntagsgedanken

28MAI2007
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Feiertagsgedanken Pfingstmontag Rheinland Pfalz


Teil 1

„Raus aus den vier Wänden“. – Mit dieser Schlagzeile gab unsere Tageszeitung das Ergebnis einer Umfrage wieder, in der Leute sagen sollten, wie sie die Pfingsttage verbringen. Ausflüge, Kurzreisen waren am häufigsten genannt. In die Kirche gehen die wenigsten über die Feiertage. Schade. Denn die Überschrift „Raus aus den vier Wänden“ passt eigentlich gut zu dem, was Christen in ihren Gottesdiensten an Pfingsten feiern: Fünfzig Tage nach Ostern verlassen Jesu Jünger ihre vier Wände und werden zu mutigen Zeugen des Glaubens.
Das war nach alledem, was sie erlebt hatten, nicht selbstverständlich. Zu tief saß der Schrecken des Karfreitag in ihren Gliedern. Es war ein Schrecken, der Menschen überfällt, wenn sie vor dem Unbegreiflichen wie vor einem Abgrund stehen. Man hat Jesus wie einen Verbrecher hingerichtet. Das hatte sie getroffen wie ein Blitz, wie das Entsetzen, das einen überfällt, unfähig macht zu denken, einem die Sprache verschlägt. Eine Welt war für sie zusammengebrochen. Aus der Traum! Aus mit den vielen Wundern und Zeichen! Bis Frauen am Ostermorgen vom leeren Grab mit der Nachricht zurückkamen: Er lebt; er ist auferstanden. Er ist uns erschienen! So ganz konnten einige es immer noch nicht glauben, aber nach und nach nimmt ihnen der Auferstandene selbst die Zweifel, indem er sich ihnen zu erkennen gibt. Doch die Öffentlichkeit scheuten sie - aus Angst, es könnte ihnen ähnlich ergehen wie ihrem Meister Jesus. Das änderte sich mit einem Schlag. Furcht und Resignation waren auf einmal wie weggeblasen. Das kleine, eben noch verängstigte Häuflein traut sich plötzlich etwas zu, wird buchstäblich „Feuer und Flamme“ für die Sache Jesu.
Was war passiert? Keiner weiß es so recht zu sagen. Bilder müssen herhalten, um denen, die nicht dabei waren, wenigstens einen Eindruck davon zu vermitteln. Es entsteht an jenem Pfingsttag in Jerusalem ein plötzliches „Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt“; „Zungen wie von Feuer“ erscheinen, die sich verteilen und auf jeden einzelnen niederlassen; Menschen beginnen, in fremden Sprachen zu reden. Alle geraten außer sich vor Staunen.
Sturmesbrausen, Feuerzungen – das sind Bilder für Gottes Geist. Gottes Geist, so heißt es, kam über das Haus, in dem sie waren. Sie, das waren die Jünger Jesu, seine Mutter, die Frauen, die Jesus begleitet hatten. Sie wurden von den Ereignissen regelrecht überrascht. Aber nicht nur sie; auch die vielen Menschen aus aller Herren Länder, die sich an jenem Tag in Jerusalem aufhielten, um nach jüdischem Brauch das Erntedankfest zu feiern.
Unerwartet bricht Neues auf. Gottes Geist schafft sich Bahn, die frohe Botschaft findet ihren Weg zu den Menschen. Die Jünger reißen die Türen auf und beginnen zu predigen - nicht über die Köpfe hinweg, sondern in die Ohren und Herzen der Menschen hinein. Jeder fühlt sich verstanden, empfindet sich ganz plötzlich angesprochen in seiner eigenen Sprache. Was sie anspricht, das handelt von Gott. Gott ist stärker als der Tod. Er hat seinen Sohn von den Toten auferweckt zu neuem Leben. Er lebt, also werden auch wir leben! Das ist ihre Botschaft. Davon können sie nicht mehr schweigen. Sie müssen es nunmehr laut und vernehmlich sagen. Der berühmte Funke springt über, die kleine Christengemeinde beginnt, ihren Glauben in die Welt zu tragen. Kirche entsteht.


Teil 2

An Pfingsten hören wir von einem schier unglaublichen Aufbruch in Jerusalem, einer nicht mehr zu bremsenden Begeisterung. Davon können Christen heute nur träumen. Die Christen, behauptet der große dänische Philosoph Sören Kierkegaard bereits vor 150 Jahren, leben wie Gänse auf einem Hof. An jedem siebten Tag wird eine Parade abgehalten. Der beredsamste Gänserich steht auf dem Zaun und schnattert über das Wunder der Gänse, erzählt von den Taten der Vorfahren, die einst zu fliegen wagten; er lobt die Gnade des Schöpfers, der den Gänsen Flügel und den Instinkt zum Fliegen gab. Die Gänse sind tief gerührt, senken in Ergriffenheit die Köpfe, loben die Predigt und den beredten Gänserich. Aber das ist auch alles. Eines tun sie nicht: Sie fliegen nicht, sie gehen zu ihrem Mittagsmahl. Sie fliegen nicht; denn das Korn ist gut und der Hof ist sicher.
Eine interessante Beobachtung, wie ich meine. Es ist erstaunlich ruhig geworden um die Christen. „Sie fliegen nicht“, sagt Kierkegaard. Man könnte auch sagen: Sie sind nicht mehr „Feuer und Flamme“, sieht man einmal von der punktuellen Begeisterung bei Weltjugendtagen oder anderen kirchlichen Events ab. Die Frage ist berechtigt: Wo ist der Schwung geblieben, von dem noch in der Apostelgeschichte die Rede war? Ist er auf dem langen Marsch durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte verloren gegangen?
Die Kirche ihrerseits findet kaum noch Anknüpfungspunkte für das, was sie vermitteln möchte. Bei vielen Zeitgenossen kriegt sie keinen Fuß mehr zwischen die Tür. Es ist still geworden um den Heiligen Geist. Es scheint, als habe er sich leise davongemacht. Die Windstärke von damals jedenfalls hat er nicht mehr. Vielleicht deshalb nicht, so ist zu hören, weil ihm die Kirche zu wenig zutraut und meint, statt seiner selbst das Heft in die Hand nehmen zu müssen. Zu sehr regiert die Angst, Gottes heiliger Geist könnte unbändig werden, den gewohnten Gang der Geschichte stören.
Es ist mit dem Heiligen Geist wie mit dem Wind. „Er bläst, wo er will“, heißt es im Johannesevangelium, „und du hörst sein Brausen; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht“ (Joh 3,8). Das kann in der Tat zuweilen außerordentlich beunruhigend sein, wo wir doch lieber klare Verhältnisse haben, geordnete Strukturen. Aber schon damals in Jerusalem hat der Geist Dinge und Menschen auf den Kopf gestellt. Plötzlich passten die Schubladen nicht mehr, die Menschen so ordentlich angefertigt haben.
Pfingsten heißt gerade: die Angst überwinden, die einen hinter sichere Mauern treibt. Deshalb genügt es nicht, von der guten alten Zeit schwärmen. Die Kirche muss nach vorne blicken. Und dazu gehört wesentlich, sich der Situation nüchtern zu stellen; offen sein für die Sorgen und Nöte der heutigen Menschen; offen sein vor allem für die Menschen mit ihren Fragen und Zweifeln und ihrer Unfertigkeit, mit ihren neuen, vielleicht unausgegorenen, manchmal auch fruchtbaren Ideen, mit ihrer Begeisterungsfähigkeit und ihren Idealen. Dazu gehört auch das Offensein für kritische Leute, Querdenker, die das Althergebrachte in Frage stellen, die die kirchlich Verantwortlichen auf neue Gedanken bringen, vor Betriebsblindheit bewahren.
Die Pfingstgeschichte ist eine Mutgeschichte, auch für die Kirche. Sie fordert auf, sich ohne Angst den Fragen der Menschen zu stellen, die Botschaft nach außen zu tragen - werbend, herausfordernd, gewinnend, mit Charme und Zuversicht. Das wäre Pfingsten heute.
Der Geist von Pfingsten lässt sich weder konservieren noch am Gängelband führen. Er duldet auch keinen Platzanweiser. Gottes Geist ist und bleibt unberechenbar, und Pfingsten ist ein unberechenbares Fest. Wo Gottes Geist lebendig wird, da bekommen Menschen Rückenwind und trauen sich Dinge zu, von denen sie vorher nicht zu träumen wagten. Deshalb ist Pfingsten nicht an einen bestimmten Tag im Kalender gebunden. Pfingsten ist da, wo die Kirche sich auf das Unberechenbare einlässt - auf Gottes Geist. Öffnet sie sich diesem Geist, dann bekommt sie Mut zum Risiko, zum Experiment; dann wird sie immer neue Wege finden, wie die Frohe Botschaft in der Welt Fuß fassen kann; dann wird sie sich neuen Anregungen nicht versperren, sondern sich darüber freuen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1400
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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18MAI2024
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Eisenbahn, Auto, E-Bike… Ideen und Erfindungen prägen die Welt. Das war schon immer so. Sie haben uns weiter gebracht, kulturell und wissenschaftlich, in Technik und Wirtschaft.

Und auch heute sind es die Ideen, die die Welt am Laufen halten. Aber welche Ideen? Tragen sie noch, die alten bewährten Ideen? Passen sie noch in unsere Welt? In eine Welt, die sich so sehr verändert hat, wie wir‘s uns nicht mal in Sience Fiction-Filmen hätten ausdenken können.  

Der amerikanische Musiker John Cage hat gesagt: „Ich verstehe nicht, warum sich die Menschen vor neuen Ideen fürchten. Ich fürchte mich vor den alten.“ Es klingt wie ein Bonmot, und zugleich trifft es unsere Situation ziemlich genau. Ich jedenfalls erkenne mich darin, besser als mir lieb ist. Ich sehe, dass alte Grundsätze, Muster, Ziele unsere Welt an die Wand fahren – und zugleich habe ich Angst davor, alles tatkräftig zu verändern. Angst, dass alles so bleibt, wie es ist – und Angst, dass nichts so bleibt, wie es ist. Ich sehe mit Schrecken, dass unser Wirtschaftssystem die Welt vollends ausbeutet – und zugleich fürchte ich auch, dass Veränderungen unseren Lebensstandard senken würden. Ich bin gegen Kriege, und doch traue ich den Alternativen zu militärischer Gewalt nicht wirklich. Ich weiß, dass Flugreisen dem Klima schaden, und habe mir doch eine Ausnahme von meinem Grundsatz, nicht zu fliegen, gegönnt… 

Wir stehen an der Schwelle zu Pfingsten. Für Christen das Fest des Geistes, des heiligen Geistes. Der schöpferischen Kraft Gottes, die immer wieder neue Horizonte eröffnet und uns neue Ideen ins Herz legt. Neuen Mut, lähmende Bedenken zu überwinden. Neues Vertrauen, dass wir es schaffen können, die Welt zum Besseren zu verändern. Die ganze Schöpfung soll aufatmen, so verheißt die Bibel, wenn Gottes Geist Raum bekommt. In unserem Denken und Fühlen und dann auch in unserem Handeln.  

Noch ist nicht Pfingsten. Und so fühle ich mich auch. Noch bin ich zögerlich, das, was ich als gut und notwendig erkenne, auch beherzt zu tun. Deshalb bete ich, was ich auch unterm Jahr oft als Stoßseufzer nach oben schicke: Komm, heiliger Geist! Und nimm mir die Angst vor Veränderungen und vor neuen Ideen. Und von den alten Ideen hilf uns  bewahren, was gut an ihnen ist. 

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