SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

22SEP2024
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Ganz schön aufgeregt war ich bei der Hochzeit meines Sohnes vor Tagen. Mit dem Vater der Braut hatte ich vereinbart, mit ihmzusammen etwas beim Fest zu sagen. Keine Rede sollte es werden. Kein Manuskript sollte es geben. Wir wollten ohne viel Pathos vor den Gästen miteinander ins Gespräch kommen. Erzählen, wie stolz wir auf unsere Kinder sind. Welche Erinnerungen wir haben, wenn wir sie so vor uns sehen. Alles mit ganz kleinen Anekdoten aus der Kindheit. Die Vorbereitung war einfach. Wie im Brennglas eingefangen erinnerte ich mich ganz schnell an Geschichten mit meinem Sohn. Die Bilder von damals wurden lebendig als sei das alles gestern noch gewesen.

Immer war er draußen. Oft bis es dunkel wurde. Mit seinen vielen Freunden. Wir lebten damals in einer ländlichen Region im Saarland. Der Garten um unser großes Haus war wie im Bilderbuch. Ein Spielplatz der besonderen Art. Da gab es einen Bach. Eine kleine Schlucht zum sich verstecken. Zwei Schafe auf einer Wiese. Und auf vielen Bäumen seine ganz große Leidenschaft, meist hoch oben hinter Ästen und Blättern versteckt. Die Baumhäuser. Uneinnehmbar für den Feind. Mit Brettern, Nägeln und Paletten errichtet. Nur über Hängeleitern zu erreichen. Dort konnte man schlafen, Hausaufgaben machen, essen und sich zurückziehen. Mein Sohn im Baumhaus. Das ist für mich das Bild seiner Kindheit.

Wir Menschen brauchen solche Geschichten, um uns zu beschreiben. Wir erzählen dann mit ganz einfachen Worten und Bildern, wer wir sind. Was uns begeistert. Wie wir uns und auch unsere Mitmenschen sehen. Solche Geschichten sagen viel mehr als viele Worte oder lange Biografien. Und das war auch bei der Hochzeit meines Sohnes so.

Heute wird im katholischen Gottesdienst eine Geschichte erzählt, die der Evangelist Markus über Jesus schreibt. Auch wenn uns aus dem Leben Jesu nichts weitergesagt worden wäre, als diese Stelle der Bibel, wir würden ganz schnell verstehen, wer dieser Jesus war und was er wollte. Die Geschichte ist schnell erzählt. Jesus hat sich einmal in die Mitte seiner Jünger gestellt. Da war ein kleines Kind. Das hat er in seine Arme genommen und nur gesagt. Schaut her. Vergesst nicht:  Wer von euch der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Das ist ein starkes Bild: Jesus und das kleine Kind. Im Kreis drumherum seine Jünger.

 

 

Jesus stellt ein kleines Kind in die Mitte und damit all die Vorstellungen seiner Jünger auf den Kopf. Ein Kind in der Mitte von Erwachsenen. Klein. Ohne Stimme. Schutzlos und wehrlos. Jesus nimmt es in seine Arme. Gibt ihm Sicherheit und Halt. Nimmt ihm die Angst. Ohne große Worte zeigt er, was ihm wichtig ist. Seine Botschaft ist klar. So sollt auch ihr euch verhalten!

Ich stelle mir vor, wie sich die Jünger vor Verwunderung die Augen reiben. Denn nur langsam begreifen sie, um was es diesem Mann aus Nazareth geht. Markus lässt seine Geschichte vom Kind auf dem Weg nach Jerusalem spielen. Dorthin ist Jesus mit seinen Freunden unterwegs. Dort im Zentrum der Macht aber wird er gehasst. Nicht wenige meinen, sein Sprechen über Gott sei unerträglich. So ganz anders als die übliche Lehre. Hier wird man ihn womöglich verhaften. Er ahnt jedenfalls nichts Gutes und versucht die kleine Schar seiner Jünger darauf vorzubereiten. Wenigstens die sollen doch begreifen, um was es ihm in Gottes Namen geht: Der Erste soll der Letzte sein. Buchstäblich Diener soll er werden. Groß ist eben nicht, wer reich ist, schöne Kleider hat und ein teures Auto fährt. Groß machen uns nicht gut bezahlte und hochangesehene Posten. Groß bin ich auch nicht, wenn alle mir zujubeln und mich bewundern. Groß bin ich nach Jesu Logik, wenn ich das Kleine und Schwache achte und nicht verachte. Groß bin ich, wenn mir meine Mitmenschen nicht egal sind. Wenn ich die kleinen Leute nicht vergesse. Die Kinder. Die Menschen auf der Flucht. Die Alten. Die Kranken und Einsamen. Sie in die Mitte stelle. Ihnen eine Stimme gebe.

Das Bild vom Kind ist tröstlich auch für mich selbst. Es gibt mir Kraft, wenn ich mich schwach fühle und darauf angewiesen bin, dass andere mich tragen und halten. Mich in den Arm nehmen. In Therapien geht es oft um unser inneres Kind. Um die heilenden Kräfte, die sich entfalten, wenn ich mich darauf einlasse. Auf meine Grenzen und Schwächen. Mein Angewiesensein auf die Liebe anderer Menschen. Erst wenn ich mein inneres Kind in seiner Schwäche und Hilfsbedürftigkeit akzeptiere und annehme, kann ich groß werden. Verantwortungsvoll und wertschätzend. Buchstäblich wachsen wie ein Baum.

Kleine Geschichten brauchen wir, die davon erzählen, wer wir sind und was uns am Herzen liegt. Sie tun gut, wenn wir sie erzählen. Und helfen uns dann so ganz langsam zu verstehen, was uns und unsere Mitmenschen so ganz besonders macht. So stark und so verletzlich. Kurt Marti, ein Schweizer Pfarrer hat einmal ganz einfach zusammengefasst, was die Botschaft Jesu war. Wie er mir einen Spiegel vorhält und von Gott so ganz anders spricht. Er bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: Mensch gerne groß. Gott gerne klein.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40705
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