SWR Kultur Wort zum Tag

06SEP2024
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Wir waren im Urlaub mit unserer Enkelin und ihren Eltern. Jeden Morgen habe ich die Dreijährige in den Kinderwagen gepackt und bin mit ihr am Meer joggen gegangen. Die Eltern konnten währenddessen noch ein bisschen weiterschlafen. So hatten wir alle etwas davon.

Was ich genossen habe: Meine Enkelin hat mir auf unseren Wegen viele Geschichten erzählt und mir viele Dinge gezeigt. Ich hatte ihr erklärt, dass im Meer verschiedene Tiere leben. Stachelrochen z.B., Wale und Haie. Sie hat diese Meereswesen gleich zum Teil ihrer Welt gemacht. Da! Sie grüßen uns freundlich aus den Wellen! Selbstverständlich haben wir freundlich zurückgegrüßt. Sie, das Einzelkind, hat mir von ihren Geschwistern erzählt, die ganz merkwürdige Namen tragen, die ich in meinem Leben noch nie gehört habe, und auch davon, dass diese Geschwister surfen können, viele Boote im Hafen besitzen und ihre Schwester schon einmal auf einem Wal geritten ist.

„Du hast ja eine blühende Phantasie,“ hat man früher zu Kindern gesagt, wenn sie solche Geschichten erzählt haben. Das war nicht nur positiv gemeint. Ich dagegen habe mich entschieden, mich an diesen Blumen der Phantasie zu erfreuen, die das kleine Menschenkind mit leichter Hand zum Blühen gebracht hat. Ich habe die Boote der imaginären Geschwister bewundert und habe dem Stachelrochen ein freundliches „Hallo“ zugerufen.

Ich glaube nämlich, dass Gott uns eine großartige Fähigkeit in die Wiege gelegt hat. Phantasie befähigt uns, über Grenzen hinwegzudenken und zu fühlen. Sie lässt uns Dinge und Wesen erschaffen, die zu unserer Welt gehören dürfen. Wie grandios das ist! An diesen Tagen am Meer, mit der frischen Brise in Haar und Nasen, da haben wir beide die Schwester ganz klar auf dem Wal reiten sehen und der Stachelrochen schickte einen Gruß hinterher. Wie zauberhaft die Welt werden kann, wenn ich mich so einlassen kann und nicht gleich in wahr und falsch, glaubwürdig und merkwürdig einteile. Und wie schade ist es, wenn man Kindern diese Fähigkeit schnell abgewöhnen will. So dass nur noch Schriftstellerinnen und Künstler so schöpferisch sein dürfen. Die anderen Erwachsenen aber nicht.

Die Menschen, die in der Bibel geschrieben haben, die haben sich Gott so vorgestellt: Als großen Künstler, als jemanden, der die Welt durch seine Vorstellung erschafft und ordnet: Meer und Land, Stachelrochen, Wale und den Menschen. Und der sich am Ende über seine Schöpfung freut. Ganz sicher freut er sich an seinen kleinen Menschenkindern, die noch ein natürliches Gespür für die Wunder der Welt haben.

Ich jedenfalls habe ihm jeden Morgen ein kleines Dankgebet geschickt.

 

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