Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09AUG2024
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Meine Freundin Anna liebt es, wenn Gäste zu Besuch kommen. Die Wohnung, in der sie mit ihrem Mann und den drei Kindern lebt, ist nicht groß. Aber für Besuch ist immer Platz. Alle rutschen dann ein bisschen zusammen, das Bett wird frisch bezogen und Anna überlegt sich, was es Feines zu Essen geben könnte.

Schon nach kurzer Zeit bin ich mittendrin im Familienleben: sitze auf dem Teppich und spiele mit dem Jüngsten, lese vor oder singe mit den Mädels. Und abends, wenn die Kids im Bett sind, quatschen wir Erwachsenen. Anna holt ganz oben aus dem Schrank Schokolade und Chips raus und dann wird erzählt bis uns die Augen zufallen. Von dem, was an Schönem bei uns im Leben gerade so los ist, bis hin zu dem, was uns schwer auf dem Herzen liegt.

Annas Familienleben mit Arbeit und Kindern ist so ganz anders als mein Single-Dasein. Umso mehr genieße ich es, dass Anna ganz selbstverständlich ihr Leben mit mir teilt. Schnell bekomme ich Abstand von meinem Alltag und kann bei allem Trubel in der Wohnung innerlich zur Ruhe kommen. Vor allem aber lässt mich Anna spüren: hier bin ich wirklich willkommen. So wie ich bin. Annas Wohnung ist für mich ein Ort zum Atemholen. Ein geschützter Raum, an dem ich ausruhen und einfach sein kann.

Der Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini spannt den Bogen sogar noch weiter. Er sagt, in der für den Beginn des 20. Jahrhunderts typischen, leicht gestelzten Sprache: „Dies ist der Gastfreundschaft tiefster Sinn: dass ein Mensch dem anderen Rast gebe auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhause. Dass er für eine Weile ihm Bleibe gebe für die Seele, Kraft, Ruhe und das Vertrauen: Wir sind Weggenossen und haben gleiche Fahrt.“

Anna ist für mich so ein Mensch, die mir auf meinem Lebensweg Rast gibt. Von ihr kann ich lernen, wie es geht, einladend zu sein. Und ich habe gemerkt: einladend sein, das geht auch außerhalb der eigenen vier Wände. Es braucht dazu weder viel Platz noch viel Zeit. Einem anderen Menschen Rast geben, bedeutet: für eine kleine Weile der anderen zuhören, zugewandt sein, Raum geben. Einander am Leben teilhaben lassen und dem anderen das Gefühl geben: Du bist wirklich willkommen! Von ganzem Herzen.

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