Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03AUG2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Ich habe immer alles getan.“ Vor einigen Monaten hat eine Patientin in einer Klinik das zu mir gesagt. Und dann hat sie ausführlich erzählt, was genau sie getan hat: Für die ganze große Familie und für Freunde gekocht. Für einzelne Verwandte Schulden übernommen. Auch mal jemanden bei sich wohnen lassen. Es war eindrücklich für mich, das alles so zu hören. Eine richtige „Schafferin“ hatte ich da vor mir, die sich ihr Leben lang für andere eingesetzt hatte.

Jetzt lag diese Frau im Krankenhaus, konnte fast nichts mehr tun. Und sie hat sich gewünscht, dass es nun auch andersherum funktioniert. Dass also nun die anderen etwas für sie tun. Sie mal besuchen. Oder anrufen. Oder einfach nur eine Karte schreiben. „Ich will ja gar nicht viel.“ … aber – so gut wie niemand ist gekommen oder hat sich gemeldet. Und wenn, dann nur ganz knapp und oberflächlich. Warum nur?

Am Krankenbett damals haben wir diese Frage vor allem gemeinsam ausgehalten. Schnelle Antworten darauf gab es sowieso nicht. Später, zu Hause, hat mich noch eine andere Seite beschäftigt: Wo tue ich sehr viel für andere? Und warum tue ich dann so viel? Was bringt mich innerlich dazu?

Ist das immer nur reine Fürsorge? Oder steckt auch anderes dahinter? Will ich vielleicht insgeheim Dankbarkeit von den anderen haben? Will ich die Dinge in der Hand behalten? Oder dränge ich anderen meine Hilfe sogar auf?

Was die Patientin dazu bewegt hat, weiß ich nicht. Und ich weiß auch nicht, warum sich so wenige um sie gekümmert haben. Womöglich hatten sich alle an die Situation gewöhnt. „Ich wollte nie von jemandem abhängig werden“, hat die Frau gesagt. Und lange Zeit hat das ja auch gut funktioniert. Als es dann aber anders wurde, da konnten sich die Familie und die Freunde vielleicht nicht umstellen, stelle ich mir vor. Zumindest nicht so schnell …

Ich weiß nicht, wie es weitergegangen ist mit dieser Patientin damals, ihrer Familie und ihren Freunden. Ich wünsche ihnen allen, dass sie sich neu aufeinander einstellen konnten.

Einmal hatte die Frau das sogar schon erfahren. Mittendrin im Gespräch hat sie mir von einem Mann erzählt, – mit dem war alles anders. Der durfte Dinge für sie tun. Sogar in der Küche stehen und kochen. Von dem hat sie sich das gefallen lassen. „Bei dem hatte ich keine Angst, abhängig zu werden.“ Und zusammen mit diesem einen Menschen sind Tun und Lassen ins Gleichgewicht gekommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40365
weiterlesen...