Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

01AUG2024
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Neulich in der S-Bahn. Ich steige mit Fahrrad ganz hinten ein – da, wo es extra Platz gibt für so sperrige Dinge. Aber dort sitzen schon andere Reisende, alle ohne irgendwas Größeres mit dabei. Im übrigen Zug ist ganz viel frei. „Kann sich vielleicht jemand umsetzen?“, frage ich freundlich in die Runde. Niemand reagiert, alle schauen ins Leere. Nur einer murmelt undeutlich, es gäbe doch noch einen Klappsitz für mich mittendrin. Ja, schon richtig. Aber dann steht mein Fahrrad halt mitten im Gang. Nicht ganz so praktisch …

Die Bahn setzt sich in Bewegung – und ich bin unzufrieden. Auch mit meiner Frage von eben. So allgemein zu bleiben bei einer Bitte, das funktioniert selten. Dazu gibt es auch Untersuchungen. In größeren Gruppen von Menschen verhallt eine Bitte in die Runde fast immer. Selbst dann, wenn es um einen echten Hilferuf oder Notfall geht, und nicht bloß um Platz in der Bahn. Vermutlich unter anderem deshalb, weil jeder denkt, das macht schon jemand anderes. Wissenschaftler sprechen vom Zuschauereffekt. Oder man kann es so erklären: Wenn sich die Verantwortung auf verschiedene Leute verteilt, wird sie dadurch für jeden kleiner. So dass es nicht mehr reicht, sich einen Ruck zu geben.

Seit diesem Erlebnis mit Fahrrad in der S-Bahn mache ich es deshalb wieder anders: Ich frage eine einzelne Person, ob sie außerhalb des Fahrradbereichs Platz nehmen kann. Und das klappt dann praktisch immer. Mir leuchtet auch ein, warum: Wer direkt angesprochen wird, ist kein unbeteiligter Zuschauer mehr, sondern merkt: Ich bin persönlich gemeint. Oft wechseln wir dann auch noch ein paar Worte mehr, und manchmal sind es richtig schöne kurze Begegnungen.

Ich denke, deshalb spricht auch Gott die Menschen in der Bibel ganz direkt an. Sogar mit Namen! An einer Stelle klingt das zum Beispiel so: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.“ Damit meint Gott zuerst sein Volk, die Israeliten. Aber auch als Christ fühle ich mich angesprochen. Ich merke da: Gott meint mich! Persönlich – mit allem, was mich als Mensch ausmacht und auszeichnet. Ich fühle mich gesehen, wertgeschätzt, gehalten. Und zugleich frage ich dann nach meinem Platz und meiner Aufgabe in der Welt. Denn, wie in der Bahn: Konkret angesprochen zu werden und persönlich gemeint zu sein, das macht einen spürbaren Unterschied.

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