SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

21JUL2024
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Ich wollte nur so ungefähr eineinhalb Kilometer zurücklaufen – von dem kleinen Ausflugscafé im Naturschutzgebiet zurück zu meinem Auto auf dem Wanderparkplatz. Allerdings nachts. Und nach ein paar hundert Metern habe ich in völliger Dunkelheit getappt. Es war wirklich absolut schwarz um mich herum. Ich habe meine eigenen Hände nicht mehr gesehen, meine Füße nicht und den geteerten Weg schon gleich gar nicht. Ich habe dann versucht, mich mit der Fußspitze an der Wegkante entlangzuhangeln. Aber das hat nicht geklappt. Mit einem Stecken oder Stab wäre das besser gegangen. Und meine Gedanken sind bei „Stecken und Stab“ hängen geblieben, als ich tatsächlich kurz auf alle viere gegangen bin und nach einem getastet habe. Wie war das noch gleich in Psalm 23 in der Bibel? „Der Herr ist mein Hirte… Er führet mich auf rechter Straße… Und wanderte ich im Finstern Tal, so fürchte ich kein Unglück. Dein Stecken und Stab trösten mich…“ Was einer Pfarrerin nachts auf allen Vieren im Straßengraben eben so einfällt.

Mich hat die Situation sehr beeindruckt, denn so etwas gibt es bei uns ja kaum noch: Irgendeinen offiziellen Weg oder eine Straße, die überhaupt nicht beleuchtet ist. Wenn man nicht gerade mit voller Absicht nachts in den dunklen Wald geht, dann sieht man normalerweise doch immer irgendwo das helle Fenster eines Hauses oder wenigstens die Scheinwerfer eines Autos. In dieser Nacht auf dem Feldweg zwischen Café und Parkplatz hat nicht einmal der Mond geschienen. Und ich habe begriffen, was Dunkelheit wirklich bedeutet!

Und was sie für die Menschen in den Jahrhunderten vor mir bedeutet hat: Nämlich tatsächlich Gefahr, Orientierungslosigkeit und das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Ich habe mich extrem angreifbar gefühlt – denn wenn da jemand gewesen wäre – ich hätte es nicht gemerkt, selbst wenn die Person nur Zentimeter von mir entfernt gewesen wäre. Und wie schnell die Fantasie mit einem durchgehen kann, wenn’s im Dunkeln knackt und knistert…

Ich habe in dieser Nacht bestens verstanden, dass ich als Mensch ein „Kind des Lichtes“ bin. Und auch, warum wir alles, was böse ist, fast immer mit Dunkelheit in Verbindung bringen: Wenn wir jemand Verdächtiges beobachten, dann reden wir von der „finsteren Gestalt“ an der Straßenecke. Kriminelle Kreise werden auch als „Unterwelt“ bezeichnet. Wenn wir ein Problem lösen wollen und nicht weiter wissen, dann „tappen wir im Dunkeln“.

Die Dunkelheit ist nicht zufällig zum Sinnbild für das Böse in unserer Welt geworden. Und für alles, was eben nicht ans Licht soll. Was andere verstecken und unter den Teppich kehren wollen. Und deshalb fordert mich das Zeugnis der Bibel auf, ganz bewusst ein „Kind des Lichtes“ zu sein.

Im Neuen Testamten der Bibel heißt es im Epheserbrief:
Wandelt als Kinder des Lichts; 9die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (Epheser 5, 8b-9)

Dieser Text steht heute in vielen evangelischen Gottesdiensten im Mittelpunkt.Und weiter heißt es da: Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, 11und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. (Epheser 5, 10)

Das ist eine ziemliche Aufgabe, finde ich, weil Licht ganz schön erbarmungslos sein kann: Es macht eben wirklich alles sichtbar: jeden Fleck auf der weißen Weste, jede mühsam kaschierte Falte im Gesicht – und eben auch jedes Unrecht , dass ich begehe oder das um mich herum geschieht – und das ich vielleicht lieber gar nicht so genau sehen möchte.

Ein Beispiel dafür, dass mich persönlich besonders plagt: Unsere Konsumgesellschaft: Die dunklen Wege, auf denen viele Sachen in unseren Geschäften und im Supermarkt landen: Der Rosenstrauß aus Afrika für 1.99 zum Beispiel, spottbillige Avocados, Billig-Klamotten usw. Irgendwo auf der Welt müssen andere dafür Unrecht in Kauf nehmen: schlechte Bezahlung, Umweltschäden usw ... Unrecht, dass im Finstern verborgen liegt. Und gegen das sich die Betroffenen deshalb nicht wehren können.

Als ich damals im Dunkeln gestandet bin, auf dem Feldweg zwischen Ausflugscafé und Wanderparkplatz, da habe ich gespürt, wie wehrlos man sich in der Dunkelheit fühlt. Ich hätte jederzeit stolpern können. Und wäre da jemand gewesen, der mir Böses will, ich hätte ihn nicht einmal bemerkt.

Auf Knien habe ich nach einem Stock oder Stecken gesucht, um mir den Weg zu ertasten. Und als ich mich wieder aufgerappelt habe, weil ich keinen gefunden habe, da habe ich hinter mir doch einen Lichtschein gesehen: Von dem Ausflugscafé, von dem ich gerade aufgebrochen war. Sofort war meine Orientierungslosigkeit wie weggeblasen. Ich hatte wieder eine Richtung. Und bin gern umgekehrt: in Richtung Licht.

Ich bin eben ein Kind des Lichts. Ich brauche es, um mich zurechtzufinden. Und ich wusste: Da in dem Café, da ist sicher jemand, der zusammen mit mir und mit einer guten Taschenlampe den Weg zum Parkplatz zurückfindet. 

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