SWR Kultur Lied zum Sonntag

21JUL2024
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„Here comes the sun“, liebe Hörerinnen und Hörer! Aber anders als in dem bekannten Beatles-Song bringt sie weder sommerliche Leichtigkeit noch rückt sie wie ein Morgenchoral die Schönheit der Schöpfung ins rechte Licht. Sie geht auf wie ein Fanfarenstoß. In nur zwei langgezogenen Quarten durchmisst sie den kompletten Tonraum einer Oktav. Schon steht sie am Himmel. Und lässt ihre Botschaft leuchten:  

Sonne der Gerechtigkeit,
gehe auf zu unsrer Zeit.
Brich in deiner Kirche an,
dass die Welt es sehen kann.
Erbarm dich, Herr!

Dieses Lied ist ein Protestsong mit einer klaren politischen Botschaft: Gerechtigkeit soll die Welt regieren wie die Sonne den Sommerhimmel. Und obwohl die Textbausteine einzelner Strophen bis weit ins 18. Jahrhundert zurückreichen, war der Choral eins der Lieblingslieder des demokratischen Aufbruchs im letzten Jahrzehnt der DDR. Die Zeile „zu unsrer Zeit“ hat’s möglich gemacht. Wer aber meint, eine politisierte Kirche richte hier vom hohen Ross Appelle an die Welt, täuscht sich. Selbstkritisch ist der Ton des Liedes:

Weck die tote Christenheit
aus dem Schlaf der Sicherheit,
dass sie deine Stimme hört,
sich zu deinem Wort bekehrt.
Erbarm dich, Herr!

Was für eine mitleidlose Selbstanalyse! Die Christenheit vorgeführt als schläfrige Masse, in selbstgefällige Sicherheiten gewiegt; nichts zu spüren von Aufbruch, von Geistesgegenwart und Tatendrang. In diesem Weckruf schwingt für mich auch die Klage vieler Opfer von sexualisierter Gewalt mit. Ihr Leiden an der Trägheit und Schlaffheit einer starren, sturen Institution. Und die Frage: Kirche, wann hörst du endlich die Alarmglocken schrillen? Wann wachst, wann stehst du auf? Wie oft muss es noch gesungen werden?

Sonne der Gerechtigkeit,
gehe auf zu unsrer Zeit!
Brich in deiner Kirche an,
dass die Welt es sehen kann.
Erbarm dich, Herr!

„Gott lässt seine Sonne aufgehen über bösen und über guten Menschen. Und er lässt es regnen auf gerechte und auf ungerechte Menschen“, sagt Jesus in der Bergpredigt. Und fordert uns auf, endlich zu handeln. Die Welt zu überraschen mit dem, wozu wir in seiner Nachfolge fähig wären. Dreizehn Imperative zähle ich in den sieben Strophen des Liedes. Und was wäre das am Ende für eine Kirche, die in ihrem Handeln ein Vorbild abgäbe? In ihrem Umgang mit der eigenen Schuldgeschichte. In ihrem Einsatz für Gerechtigkeit. Was es dafür braucht, weiß das Lied auch, und bittet und fleht:

Gib den Boten Kraft und Mut,
Glauben, Hoffnung, Liebesglut.
Und lass reiche Frucht aufgehn,
wo sie unter Tränen sä‘n.
Erbarm dich, Herr!   

Sonnige Zeiten wünscht ihnen in diesem Sinn
Martina Steinbrecher aus Baden von der evangelischen Kirche

Musikangaben:
Text: Christian David: Strophe 1 (1728)
Christian Gottlob Barth: Strophe 2+4+5 (1827)
Christian Nehring: Strophe 3+7 (1704)
Kompiliert und mit einer einheitlichen Leise versehen von Otto Riethmüller (1932)
Melodie: Böhmen 1467, Nürnberg 1556, Geistlich Böhmische Brüder (1566)
Aufnahme: Christian-Markus Raiser (Klavier), CoroPiccolo Karlsruhe (2017)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40323
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