Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19JUL2024
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Meine Güte, damals habe ich mich ganz schön geschämt: Es ist schon ziemlich lange her – ich war Pfarrerin in einer kleinen Gemeinde auf dem Land – da habe ich eine neue Kollegin ein paar Dörfer weiter bekommen: was für eine schöne Frau! Ein bisschen jünger als ich, hat neben dem Beruf ihre Familie gemanaged… Und ich war eifersüchtig. Ich war neidisch auf ihre tolle Erscheinung und auf all das, was sie unter einen Hut gebracht hat… Da kommt eine daher und wagt es, besser zu sein als ich… – wirklich zum Schämen, mein Neid damals.

Bei den gemeinsamen Dienstbesprechungen haben wir uns dann besser kennen gelernt. Meine Kollegin hat mir von ihrem echten Alltag erzählt: dass sie noch vor kurzem schwer krank gewesen ist, wie sehr sie der Alltag mit den Kindern manchmal überfordert hat und von den Schwierigkeiten, in ihrer neuen Gemeinde wirklich anzukommen. Von wegen souverän in allen Lebenslagen. Ich habe ihr dann von meiner albernen Eifersucht erzählt und von dem Bild, dass ich von ihr gehabt hatte. Meine Kollegin hat gestutzt – und dann haben wir beide gelacht. Und haben uns vorgenommen, uns öfter zu treffen – einfach so und nicht nur dienstlich.

Ich schäme mich heute, dass daraus nie etwas geworden ist – obwohl wir mehrmals Anlauf genommen haben. Ich hätte dran bleiben sollen.

Stattdessen haben wir uns ganz aus den Augen verloren. Und ich habe mich mit meinen eigenen Sorgen und Nöten beschäftigt. Heute denke ich, dass ich mich von manchen zu sehr habe beherrschen lassen. Manche meiner Probleme sind mir so groß vorgekommen, dass sie mir sogar die Freude am Leben vermiest haben.

Ganz besonders dafür habe ich mich sehr geschämt, als ich letzte Woche am Grab meiner Kollegin gestanden habe. Ich hatte nicht mitbekommen, dass ihre Krankheit zurückgekommen war, und dass ihr Kampf dieses Mal vergeblich sein würde. Der Pfarrer, der die Trauerfeier geleitet hat, hat mit uns am Grab gebetet: „Gott, Herr unseres Lebens: Alles, was wir der Verstorbenen noch gerne gesagt hätten, was wir für sie gerne noch getan hätten und es jetzt nicht mehr können – alles das legen wir voller Vertrauen in Deine Hände.“ Und da habe ich aufgehört, mich zu schämen. Und habe meine Scham und alles, was ich nicht zu Ende gebracht habe, in Gottes Hand gegeben. Ich habe mich von meiner Kollegin verabschiedet und konnte in Frieden gehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40291
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