SWR Kultur Wort zum Tag

17JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Der Fund ist eine Sensation: in einem Neandertalergrab hat man Knochen eines sechsjährigen Kindes mit Downsyndrom gefunden. Das bedeutet, dass die Neandertaler dieses Kind sechs Jahre lang versorgt haben. Menschen, die auf die Jagd gingen und in Höhlen lebten. Und dieser Fund steht nicht alleine da. So haben Archäologen das Skelett eines Neandertalers mit schweren Verletzungen gefunden, der mit diesen noch viele Jahre als Invalide überlebt haben muss. Auch ein Zeichen dafür, dass seine Gruppe ihn gepflegt und unterstützt hat.

Hat also Jesus von Nazareth gar nichts Neues gebracht mit seinem typischen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst?“ Dieses Gebot steht ja schon im Alten Testament, das Jesus als Jude natürlich gekannt hat. Und auch in vielen anderen Religionen gibt es diese Gebote, sich um Arme zu kümmern oder mit ihnen Mitleid zu haben. Menschen brauchen einander und nur, wenn sie in ihrem Clan füreinander sorgen, können sie überleben. Das war schon bei den Neandertalern so und es gilt bis heute.

Aber Jesus ist in seinem Verständnis von Nächstenliebe viel weiter gegangen. Die Nächsten sind für ihn ausnahmslos alle um ihn herum, die in Not sind und Hilfe brauchen. Das hat er radikal gelebt. Er geht zu den Aussätzigen, die man aus Angst vor Ansteckung in Höhlen verbannt hatte und berührt sie. Und als eine Ausländerin ihn bittet, ihr Kind zu heilen, begreift er, dass er nicht nur für sein eigenes Volk da ist.

Jesus hat damit ein Zeichen gesetzt: Dass Gottes Liebe keine Grenzen kennt. Deswegen sollen die, die ihm nachfolgen, ihre Liebe auch nicht begrenzen.

Ein hoher Anspruch. Die Ressourcen – auch die der Nächstenliebe- sind schließlich endlich. Bei mir jedenfalls kommt früher oder später immer der Punkt, da sind meine Ressourcen erschöpft.

Ich glaube, dass Jesus so unbegrenzt lieben konnte, weil er ganz mit Gott verbunden war. Ich kann das nicht und doch spornt mich sein Anspruch an. Weil es mich fasziniert, wie Jesus seinen Nächsten begegnet ist. Es hat sie verändert. Sie wurden geheilt. Von ihren Krankheiten und den Verletzungen, die das Leben ihnen zugefügt hat, von ihrem Egoismus. Die Beziehung zu Jesus kann auch mich verändern. Die Enge in meinem Herzen. Die Angst, selber leer auszugehen, wenn ich mich für andere einsetze. Ich kann entdecken, wieviel reicher das Leben wird, wenn wir unser Herz füreinander öffnen. Eine Erfahrung, die sich wie ein roter Faden durch das Christentum zieht und dazu ermutigt, das zu leben, was tief in der Menschheit verankert ist: Nächstenliebe und Mitgefühl.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40278
weiterlesen...