SWR Kultur Wort zum Tag

18JUL2024
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„Das Jahr steht auf der Höhe, / die große Waage ruht. / Nun schenk uns deine Nähe / und mach die Mitte gut.“ So beginnt ein Kirchenlied mit Versen von Detlev Block. Zwar sind seit der Sommersonnenwende schon wieder einige Wochen vergangen, aber dieses Gefühl von Jahresmitte ist noch prägend. Die Sonne und das Jahr im Zenit, der volle Sommer, das Ausreifen. „Das Jahr steht auf der Höhe .../ Herr, zwischen Blühn und Reifen / und Ende und Beginn. / Lass uns dein Wort ergreifen / und wachsen auf dich hin.“ So endet die erste Strophe.

Ich liebe dieses Lied, eigentlich müsste ich es jetzt singen, allein wegen der Melodie.  Es hat so einen lebenssatten Klang, voller Zuversicht und Lebensfreude. Da hält sich alles die Waage: Frühling und Herbst sind von Ferne präsent, aber jetzt ist Reifung und Fülle, wie im kurzen Wendepunkt von Ein- und Ausatmen. Stille und Dank, auch Bilanz und Ernte ein bisschen, und schon das Wissen um den anklopfenden Herbst. Im Lied heißt das so: „Das Jahr lehrt Abschied nehmen / schon jetzt zur halben Zeit. / Wir sollen uns nicht grämen, / nur wach sein und bereit, / die Tage loszulassen / und was vergänglich ist, / das Ziel ins Auge fassen, / das du, Herr, selber bist.“  Mit der Anrede „Herr“ habe ich zwar Schwierigkeiten, denn das hat für mich den Beigeschmack von Unterwerfung, von Herr und Knecht, männlich zudem. Aber der Sound des ganzen Liedes ist so einladend und beschwingt, dass es mich mitnimmt und trägt. Diesen Morgen in der Jahreshöhe gilt es zu würdigen, ja zu feiern: Lust am Leben hier und jetzt, „wach sein und bereit“, immer auch abschiedlich. Das macht diesen Tag noch einmaliger.

Die vierte Strophe sammelt dieses Ja zur Erde in der Anbetung des Schöpfers und seiner Treue. „Du wächst und bleibst für immer, / doch unsere Zeit nimmt ab. / Dein Tun hat Morgenschimmer, / das unsere sinkt ins Grab. / Gib, eh die Sonne schwindet, / der äußere Mensch vergeht, / dass jeder zu dir findet / und durch dich aufersteht.“ Völlig paradox: noch im Abnehmen der Lebens- und Jahreszeit geht es um Wachstum und Lebensfülle, um nichts sonst. Da ist eine ungeheure Daseinslust spürbar, durch und durch österlich. Gott selbst wächst mit uns und wir mit ihm. „Dein Tun hat Morgenschimmer“ - ja, das Lied hat Recht - „nun schenk uns deine Nähe und mach die Mitte gut.“

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