Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26JUN2024
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Ramona hat Narben auf ihrem Arm. Viele. Längs und quer. Alle zwei oder drei Zentimeter lang. Wenn ich sie treffe, lächelt sie meistens. Sie kann wunderschön singen und schließt demnächst ihr Studium ab. Aber ihre Narben erzählen davon, dass es ihr in ihrem Leben nicht immer gut ging. Sie sich selbst verletzt hat. Um sich zu spüren. Sich abzulenken. Vielleicht beides. Sie schrieb mir mal: „Weißt Du, Wolfgang, manchmal ist es ganz schön dunkel und stürmisch in mir.“

Mich beindruckt, wie offen Ramona damit umgeht. Sie keinen Hehl aus ihren Schwächen macht. Das zeigt sich auch auf ihrem Arm. Dort sind nämlich nicht nur Narben. Sondern sie hat sich eine Tattoo darüber stechen lassen. Es soll sie daran erinnern, dass es eben nicht nur die dunklen Zeiten gibt. Und wenn sie doch wiederkommen, dann ist es auch ok. Denn niemand muss seine Schwächen verstecken und keinem geht es immer gut. Genau darum ist auf ihrem Arm über den Narben groß zu lesen: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“

Das ist ein Zitat des Apostels Paulus. Paulus gilt zwar als der große christliche Missionar des ersten Jahrhunderts, aber selbst der hat nicht alles einfach geschafft. Ganz im Gegenteil. Aus seinen Briefen ist herauszulesen: Ihm ist bewusst, dass er nicht alles kann und Schwächen hat. Wenn er zum Beispiel Angst bekommt oder sich ohnmächtig fühlt, weiß er, dass das ok ist, weil er auf einen Gott vertraut, der ihn genau darin begleitet und ihm genau dann nahe ist. Dass ihm das Mut und Stärke gibt und er deshalb ehrlich sich selbst und anderen gegenüber sein darf.

Das klingt alles einfacher als es ist. Ramonas Arm erzählt davon. Denn es ist furchtbar, wenn Menschen sich so schlecht fühlen, dass sie sich selbst verletzen.

Aber, wenn es mir nächstes Mal nicht so gut geht, werde ich an Ramona denken, an ihre Narben und vor allem an ihr Tattoo. Ich werde mich daran erinnern, dass es ok ist, seine Schwächen zu zeigen. Darüber auch mit anderen zu sprechen.

Denn, „wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“

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