SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

23JUN2024
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Ich treffe mich mit Fabien; morgens um halb acht in einem Café in Paris. Er wohnt in dieser wunderbaren Stadt. Wir kennen uns über Instagram. Und weil wir beide Kaffeefans sind, schickt er mir immer wieder frühmorgens ein Foto mit einer Espressotasse irgendwo in einem Café in Paris. Und ich ihm dann meist ein Bild von meinem Milchkaffee. Zuhause in meinem Wohnzimmer neben meinem Sessel.

Ich bin gerade für ein paar Tage in Paris und wir beschließen uns zu treffen. Natürlich früh morgens. Und jetzt sitze ich neben ihm und ausnahmsweise stehen zwei Espressotassen auf dem Tisch. Wir reden über unsere Arbeit, was an dem Tag noch so ansteht und irgendwann frage ihn frech: „Sag mal, warum sitzt Du so oft morgens hier? Kannst Du eigentlich zuhause keinen Kaffee kochen?“ Er schaut mich an, lächelt und sagt: „Sieh mal, Wolfgang: Ich hab nen stressigen Job, bin viel unterwegs und lebe in einer echt anstrengenden Großstadt. Diese halbe Stunde, früh morgens, in diesem Café in dem noch nichts los ist, in dieser Stadt, die um diese Zeit noch so herrlich ruhig ist, ist meine persönliche heilige Zeit.“

Das rührt mich ein wenig. Nicht nur, dass ich das verstehen kann, sondern, dass er diese Zeit, die eigentlich ihm gehört, mit mir teilt. Es stimmt. Ich merke auch, wie wichtig mir die halbe Stunde ist, die ich morgens in meinem Sessel sitze, frühstücke und ein wenig lese.

Es gibt dafür auch ein neumodisches Wort: Me-Time. Die Zeit, die ich nur für mich habe. Meist versteht man darunter, sich selbst Zeit zu gönnen. Aber das ist keine moderne Erfindung. Der Heilige Bernhard von Clairvaux hat vor über 900 Jahren schon dem damaligen Papst Eugen III. geschrieben: „Es ist viel klüger, du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als dass sie dich ziehen. Deswegen: Gönne Dich Dir selbst.“ Ich finde ein guter Rat.

Egal, wie ich es nenne: „Me-Time“ oder „Gönne Dich Dir selbst“. Diese Zeiten sind wichtig. Für mich zu sein, damit ich dann wieder für andere da sein kann.

Am besten gefällt mir es aber, wie Fabien es genannt hat: „Das ist meine heilige Zeit.“

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