SWR4 Sonntagsgedanken

23JUN2024
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Neuerdings bekomme ich immer wieder Nachrichten mit ganz besonderen Fotos geschickt. Auf den ersten Blick sind es Fotos von ganz alltäglichen Dingen, wie einem Hauseingang oder einem Baumstamm. Aber auf den zweiten Blick werden aus den Astgabeln am Baumstamm zwei Augen, und ein Riss in der Rinde ist der Mund. Gesichter, die man erst auf den zweiten Blick erkennt. Unter dem Hashtag Randomfaces finden sich im Internet solche Gesichter, die eigentlich gar keine sind. Häuserfassaden mit runden Fenstern und einem liegenden Bogen. Mülleimer mit besonderen Einwürfen. Baumstämme, deren Astlöcher ein Gesicht markieren. Wenn man einmal aufmerksam ist, dann sieht man sie. Ich liebe es, sie zu fotografieren und oft poste ich sie dann bei Instagram.

„Was fotografieren Sie da eigentlich immer?“, fragte mich jüngst auf einer Reise ein Mitreisender. Nachdem ich es ihm gesagt und erklärt hatte, kam er nach einigen Tagen auf mich zu, lachte und sagte: „Ich sehe jetzt auch überall Gesichter.“

Ich sammle diese besonderen Gesichter. Zufallsfunde, meist fröhlich, manchmal grimmig. Sie zaubern mir immer ein Schmunzeln ins Gesicht. Vor allem aber erinnern Sie mich daran, genau hinzusehen und Gesichter zu entdecken, wo man erst keine vermutet. Und sie sind ein Hinweis dafür, Gesicht zu zeigen, gerade jetzt.

Im 1. Petrusbrief heißt es: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“ Rechenschaft geben – das beginnt damit, Gesicht zu zeigen. Es beginnt damit, dass ich einstehe und geradestehe für das, was mir anvertraut ist und was mich trägt.

Es hat mich sehr berührt, als bei der Gedenkfeier für den im Dienst getöteten Polizisten Rouven Laur zu hören war, dass auf seinem Schreibtisch das aufgeschlagene Arabisch-Lehrbuch lag. Er wollte dazu beitragen können, dass brenzlige Situationen entschärft und deeskaliert werden. Vor gut drei Wochen hatte er Dienst auf dem Mannheimer Marktplatz. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen war er dazu da, die Meinungsfreiheit zu schützen. Als diese durch eine Messerattacke angegriffen wurde, griff er ein und wurde dabei tödlich verletzt. Wenige Sekunden, die das Leben dieses jungen Polizisten beendeten und die unsere Gesellschaft ins Mark getroffen haben.

Der Polizist Rouven Laur hat wie so viele Polizistinnen und Polizisten Verantwortung übernommen für unsere freie Gesellschaft, dafür, dass Menschen ihre Meinung zum Ausdruck bringen können. Er hat sich gegen islamistisch motivierte Gewalt gestellt und hat das mit dem Leben bezahlt. Bei der Gedenkfeier für ihn vor einer Woche wurde ein Brief der Familie verlesen. Besonders eindringlich war der Appell, dass es gerade jetzt nicht dazu kommen darf, dass Hass und Gewalt siegen. Das lachende Gesicht von Rouven Laur auf dem großen Foto vor Augen haben wir es alle gehört: Gewalt darf gerade jetzt nicht die Antwort sein. Klare Worte und entschiedenes Handeln jedoch schon.

Gesichter sehen, auch da, wo man sie erst nicht vermutet und Gesicht zeigen da, wo die Menschlichkeit mit Füßen getreten wird. Darum geht es. Der 1. Petrusbrief ruft dazu auf, dass wir jederzeit bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die in uns ist. Das habe ich vorhin in den SWR 4 Sonntagsgedanken erzählt.

Es klingt wie ein Verwaltungsvorgang und ist doch viel mehr: Rechenschaft geben über die Hoffnung, die in uns ist. Das ist dann wieder wie die Sache mit den Randomfaces. Nüchtern betrachtet und beschrieben ist es eine Häuserfassade oder eine Tür mit zwei runden Türknaufen. Aber beim genauen Hinsehen und mit der Erwartung, mehr zu sehen zeigt sich ein Gesicht.  Das Gesicht der Hoffnung entdecke ich, wenn ich genau hinsehe. Sie ist kein geschürtes Paket, das ich von Zeit zu Zeit hinausnehme und davon berichte. Die Hoffnung, die in mir ist, ist die Glut, die von Gottes Geist immer wieder angefacht wird. Sie ist der Sinn dafür und der Glaube daran, dass trotz allem, was mir die Zuversicht sinken lässt, es einmal eine gute Wendung nehmen wird mit meinem Leben und mit dieser Welt. Das ist keine Traumtänzerei, erst recht kein Augen-Verschließen vor dem, was schiefläuft, sondern es ist das beharrliche Festhalten daran, dass Gottes Zukunft noch vor uns liegt und dass er uns selbst aus dieser Zukunft entgegenkommt. Daran müssen wir einander erinnern und die Hoffnungsbilder und Hoffnungsgeschichten so teilen wie wir die Bilder von Randomfaces teilen.

Und am Ende geht es uns dann so wie dem Mann, der mit auf der Reise war, über meine Fotos von Randomfaces gestaunt hat und plötzlich auch überall Gesichter gesehen hat. Dann lässt sich die Hoffnung entdecken an Orten, an denen wir sie nicht vermutet haben. So ein Ort ist der Hoffnungsgarten in Eppingen. Ein Stück Garten in der Kleingartenanlage, in dem eine Initiative mit geflüchteten Menschen eine kleine Oase und ein Café für Begegnungen geschaffen hat. Das stolze Leuchten in den Augen derer, die das mit erschaffen haben, ist ein Hoffnungszeichen, das mich weiter sehen lehrt.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine Woche, in der Sie Hoffnungszeichen finden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40139
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