Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17JUN2024
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Jetzt ist alles kaputtgegangen! Manchmal kommt es einem so vor. Dieses Frühjahr ging es uns zum Beispiel so mit dem großen Walnussbaum, der vor unserem Küchenfenster steht. Nach dem langen Winter, in dem der Baum kahl dastand, waren im April gerade wieder die ersten grünen Blätter zu sehen – wie schön! Aber dann gab es noch mal einen kräftigen Nachtfrost. Am nächsten Tag haben sich die jungen Triebe schwarz verfärbt – und sind abgestorben. Ein trauriger Anblick. Kein grünes Blätterdach in diesen Sommer, dachten wir – alles hinüber.

Ich finde, solche Momente gibt’s auch sonst im Leben. Momente, in denen man den Eindruck hat: Jetzt ist alles kaputtgegangen. Wenn man ernsthaft krank wird, zum Beispiel, und plötzlich nichts mehr geht. Wenn man merkt, dass man eine falsche Entscheidung getroffen hat. Oder wenn ein Streit eskaliert und keine Versöhnung in Sicht ist.

Alles kaputt? Der Walnussbaum hat uns gezeigt, dass man sich da täuschen kann. Nach ein paar Wochen hat er nochmal ausgetrieben – inzwischen hat seine stattliche Krone wieder ein dichtes grünes Blätterkleid. Wir haben gestaunt. Aber ein Freund, der sich mit Bäumen auskennt, hat es erklärt: Der Walnussbaum hat sogenannte Seitenknospen, also Reserveknospen. Wenn die ersten Blätter kaputtgehen, dann kommen die Seitenknospen zum Einsatz und treiben aus – so dass der Baum im Sommer nicht ohne Blätter dasteht.

Ich glaube, dass wir Menschen auch so eine Art Reserveknospen haben. Und dass Gott uns Kräfte mit auf den Weg gegeben hat, von denen wir gar nicht ahnen, dass sie da sind. Aber die dann zum Vorschein kommen, wenn sonst gar nichts mehr geht. Und wenn selbst die an ihr Ende kommen, sind Gottes Möglichkeiten immer noch nicht erschöpft. Ich mag einen Satz vom Propheten Jesaja aus der Bibel, der das schön beschreibt. Er richtet sich an Menschen, die keine Kraft mehr haben, keine Heimat und keine Hoffnung. Jesaja erinnert sie daran, dass es bei Gott immer neue Möglichkeiten wachsen. Gott sagt, so steht es bei Jesaja: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?

Nicht immer gehen in Krisensituationen unsere Reserveknospen so schnell auf wie bei unserem Walnussbaum. Manchmal sieht es lange so aus, als sei wirklich alles kaputt, die Energiereserven bleiben verborgen, und es ist schwer zu erkennen, was noch kommen soll. Aber das Bild vom Baum und seinen Reserveknospen nehme ich für mich mit. Ich hoffe, dass ich mich in schwierigen Momenten daran erinnere. Und aufmerksam bleibe für das, was Gott verspricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?

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