SWR Kultur Wort zum Tag

17JUN2024
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Auge um Auge, Zahn um Zahn – das ist, kurz gefasst, die Formel für Rache. Rache statt Recht – also schlimm; findet doch eigentlich jeder zivilisierte Mensch, oder? Viele denken dabei an die jüdische Bibel, also das sogenannte Alte Testament.

Und vergessen oder übersehen, dass Auge um Auge eigentlich sehr fortschrittlich gewesen ist – damals, jedenfalls, als sie diese Regel erfunden haben. Denn Rache, wie sie zuvor üblich war, ging anders: Du hast mich an der Hand verletzt – schlag ich dich tot oder jedenfalls windelweich. Maßlos jedenfalls. Ohne Rücksicht tödlich. Dagegen sagt die biblische Regel: Haut dir jemand einen Zahn aus, kannst du oder kann ein Richter ihm das auch antun. Gleiches mit Gleichem vergelten. Schluss mit dem Übermaß von Rache.

Jesus war jedenfalls ein zivilisierter Mensch. Und doch war ihm „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ schlicht zu wenig. Mit ihm soll eine neue Art von Zivilisation ausbrechen. „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn.“ sagt Jesus. „Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Hm – ob das wirklich so gemeint ist? Wer lädt denn dazu ein, gleich nochmal zuzuschlagen? Manche erklären das ein bisschen herunter: Der Schläger könnte so erstaunt sein oder sogar verwirrt, dass er einen zweiten Schlag lieber gleich vergisst. Ein bisschen psychologisch…

Aber Jesus geht noch weiter: „… wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel.“ Ja – auch mit seiner Friedensbotschaft ist Jesus sehr radikal.

Andererseits ganz deutlich: Undenkbar, solche Regeln etwa der Ukraine vorzuschlagen: wenn sie dir die Krim wegnehmen wollen, gib ihnen gleich das ganze Land… Oder dem Gewalt-Opfer in einer Familie zu raten: Bleib dabei, lass ihn ruhig noch mal zuschlagen. Nein nein: lauf weg, zeig ihn an!

Jesus hat sicher nie gewollt, dass Menschen zu Opfern werden. Und gleichzeitig gilt für ihn und für die Christenmenschen: Nachhaltiger Friede zwischen Menschen und zwischen Staaten kann und muss am Ende wichtig bleiben. Auge um Auge hinterlässt am Ende nur Tod und Verwüstung.

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