Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

31MAI2024
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Unter den vielen deutschen Ausdrücken, die ihren Ursprung im Jiddischen, der Umgangssprache der Ostjuden haben, finden wir auch das Wort Schnorren. Der „Schnorrer“ war kein gewöhnlicher Bettler oder Almosenempfänger. Er war vielleicht ärmer als andere.

Zu betteln brauchte er aber nicht, weil er sich darauf verlassen konnte, dass die Betuchteren ihre Pflicht aus der Heiligen Schrift (3.BM; 25:35) kannten und dieser auch unbedingt nachkommen würden.  „Und wenn dein Bruder verarmt, und seine Hand wankt bei dir, so sollst du ihn stützen…“ Die Tora konkretisiert diese „Stütze“ (19:9-10): „Und wenn ihr das Getreide eures Landes erntet, so sollst du den Rand deines Feldes nicht vollends abmähen…“   Sondern „den Armen und dem Fremden sollst du diese überlassen…“ Das „Überlassen“ bedeutet: stehen lassen, damit auch der Besitzlose sein Einkommen durch seiner Hände Arbeit erwirbt und sich vor niemandem zu erniedrigen braucht.  Das, was er erhält, bezeichnet man als „Zedaka“, was so viel heißt, wie: Gerechtigkeit auszuüben und die Ungerechtigkeiten dieser Welt auszugleichen!  Dass die „Zedakka“ ein „Muss“, eine ethische Verpflichtung für jeden Juden bedeutet, weiß der „Schnorrer“ genau. Er weiß auch, welch wichtige, nützliche Rolle er im Kreislauf der Güter spielt.  Wenn er nicht schnorren würde, wie könnte ein anderer seinen Verpflichtungen der „Zedakka“ gegenüber gerecht werden? 

Dieser Hintergrund aus der Bibel, wie auch aus der jüdischen Geisteshaltung, erlaubt dem Schnorrer den aufrechten Gang, ohne jegliche Demut und Erniedrigung vor dem Spender.  Ganz im Gegenteil! Sehr häufig strahlt der Schnorrer auch die jüdische „Chuzpe“, die an Unverfrorenheit grenzende Überheblichkeit aus.

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